Ukraine: Theologe sucht Auswege aus verfahrenem Kirchenkonflikt
Ukrainischer Theologe Bortnyk erläutert in PRO ORIENTE-Blog-Beitrag Konflikt zwischen der Orthodoxen Kirche der Ukraine und der Ukrainisch Orthodoxen Kirche und dem Dilemma, in dem sich letztere Kirche befindet
Wien, 09.04.24 (poi) Mit dem verfahrenen innerorthodoxen Kirchenkonflikt in der Ukraine setzt sich der Kiewer Theologe Sergii Bortnyk in einem neuen Beitrag des PRO ORIENTE-Blogs "Healing of Wounded Memories" auseinander. Leider befinde man sich derzeit in der Ukraine in einer Phase, die man kaum als "Heilung der verwundeten Erinnerung" bezeichnen könne. Vielmehr befinde man sich in einer Phase, in der neue Wunden geschlagen werden, so Bortnyk, der in seinem Beitrag aber auch Wege aus der Krise aufzeigen will und eine künftige Versöhnung zwischen den Kirchen in der Ukraine nicht ausschließt.
In der Ukraine gibt es zwei große orthodoxe Kirchen: die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU), der 2018/19 vom Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios die Unabhängigkeit (Autokephalie) verliehen wurde, und die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK), die bis 2022 dem Moskauer Patriarchat unterstand, sich nach dem angriff Russlands auf die Ukraine zwar für unabhängig erklärte, diesen Schritt bisher aber bisher nicht konsequent vollzogen hat. Die Regierung in Kiew unterstützt die OKU. Es gibt starke politische Bestrebungen, die UOK wegen ihrer nicht eindeutigen Abgrenzung zu Moskau zu verbieten. Kritiker warnen allerdings auch vor einer Einschränkung der Religionsfreiheit. Sergii Bortnyk gehört der UOK an.
In den letzten fünf Jahren habe es zwei große Wellen von Übertritten von Kirchengemeinden von der UOK zur OKU gegeben, erinnert der Theologe: nach der Gewährung der Autokephalie im Jahr 2019 und nach dem Ausbruch des Krieges im Jahr 2022. Diese Wechsel der Zugehörigkeit hätten zu zahlreichen Konflikten auf lokaler Ebene geführt.
Sowohl der ukrainische Staat als auch die breite ukrainische Öffentlichkeit forderten von der UOK deutliche Veränderungen in ihren Beziehungen zu Russland und der russischen Kirche. Doch diese eingemahnte "Trennung von Moskau" werde von der Kirchenhierarchie als "Sturz ins Schisma" wahrgenommen, erläutert Bortnyk - eine "Horrorgeschichte" für die kirchlich Verantwortlichen.
So stehe die UOK heute vor der Wahl, welcher Art von Einheit sie den Vorzug geben soll: entweder der kanonischen Einheit mit dem Moskauer Patriarchat trotz des andauernden Krieges oder der Wiederherstellung der Einheit mit der Weltorthodoxie, angeführt vom Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel. Das Problem sei jedoch, dass es für die UOK keine Möglichkeit der Versöhnung mit Konstantinopel gibt, ohne mit den Strukturen der OKU zu verschmelzen, und dafür sei sie nicht bereit.
Bortnyk plädiert deshalb dafür, die Idee aufzugeben, in naher Zukunft eine einzige orthodoxe Kirchenstruktur in der Ukraine aufzubauen. Es wäre zum Wohle der ukrainischen Gesellschaft und des Staates, anstelle einer strengen Hierarchie und eines Primats zur Vielfalt zurückzukehren. Es sei besser, wenn die Ukraine zwei orthodoxe Kirchenstrukturen hat, die friedliche Formen der Koexistenz etablieren. Das sei eine bessere Perspektive als eine gewaltsame Kirchenvereinigung, die noch länger Wunden hinterlassen wird als der gegenwärtige Krieg zwischen den Staaten Russland und Ukraine.
"Healing of Wounded Memories"
In dem Blog "Healing of Wounded Memories" (Verletzte Erinnerung heilen) werden über einen mehrmonatigen Zeitraum die Beiträge zur ersten internationalen Konferenz im Rahmen des gleichnamigen PRO ORIENTE-Projekts veröffentlicht, die vom 9. bis 11. November 2023 in Wien stattfand. Rund 50 Teilnehmende aus Europa, den USA und dem Nahen Osten hatten dabei Aspekte einer Theologie der Versöhnung reflektiert, zugleich aber auch konkrete geopolitische Konfliktfelder in der Ukraine, in Südosteuropa und im Nahen Osten in den Blick genommen.
2024 und 2025 werden regionale Workshops in besagten Regionen stattfinden. Die Ergebnisse dieser Workshops sollen anschließend in einer großen Abschlusskonferenz in Wien zusammengeführt werden. Für die Veröffentlichung der Projektbeiträge wurde statt einer Publikation in Buchform bewusst die Form eines Online-Blogs gewählt, um die Texte einer größeren Zielgruppe zugänglich zu machen. In dem Blog, der den gesamten Prozess begleitet, kommen Expertinnen und Experten verschiedenster Kirchen und Regionen zu Wort.
Zum Blog: www.pro-oriente.at/blog/healing-of-wounded-memories