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Theologen: Christlicher Glaube schafft Voraussetzungen für Versöhnung zwischen Völkern

Theologen Pero Lovric (Bosnien) und P. Milan Zust (Slowenien) skizzieren in neuen PRO ORIENTE-Blog-Beiträgen Grundlagen einer Theologie der Vergebung und Heilung

POI healing Sept

Dass Versöhnung zwischen einst verfeindeten Völkern grundsätzlich möglich ist, wenn auch mit großen Anstrengungen verbunden, haben die beiden Theologen Pero Lovric und P. Milan Zust in aktuellen Blog-Beiträgen der Stiftung PRO ORIENTE betont. Sie reflektieren in ihren Ausführungen theologische Grundlagen und praktische Beispiele von Versöhnung und Vergebung.

Der in Mostar geborene katholische Theologe Pero Lovric verweist in seinem Beitrag auf das Beispiel von Deutschland und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Die beiden Nationen, die sich jahrhundertelang als Erbfeinde betrachteten, hätten eine institutionalisierte Versöhnung und Freundschaft geschafft. Lovric würdigt dabei die Verdienste des französischen Außenministers Robert Schumann und des deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer.

Die gemeinsame Erinnerung auf der Basis von Wahrheit und Gerechtigkeit sei die Voraussetzung für Vergebung, Versöhnung und Heilung, betont Lovric: "Nach der Klärung der Vergangenheit, nach der Rückgabe dessen, was die Gerechtigkeit (auch die gerichtliche) verlangt, nach der Vergebung dessen, was zu vergeben ist, kommt die Zeit der neuen Visionen und der Mitwirkung am Aufbau des Reiches Gottes", so der Theologe.

Lovric verweist auch auf Papst Franziskus, der stark von der Theologie Romano Guardinis beeinflusst sei, und sich dessen Lehre von den Gegensätzen und Widersprüchen zu eigen mache. Gegensätze stünden in fruchtbarer Spannung und könnten eine höhere Synthese hervorbringen. Widersprüche hingegen erforderten eine klare Entscheidung zwischen Gut und Böse und könnten nicht zu einer fruchtbaren Synthese führen.

Der Papst betone, dass Ideologien und konfliktsüchtige Politiker aus Gegensätzen Widersprüche machten und so eine Realität schaffen würden, in der Lösungen nicht möglich seien, weil der jeweils andere als ausschließlich böse angesehen wird. Diese Perspektive gelte es unbedingt zu überwinden, fordert Lovric. Und er plädiert dafür, in einem "vertrauensvollen" und "demütigen" Dialog an bestehenden Gegensätzen zu arbeiten und diese zu überwinden. Das betreffe gerade auch Konflikte im ehemaligen Jugoslawien, wo ein gemeinsamer Blick auf historische Ereignisse oft unmöglich erscheine.

Genau deshalb komme auch den Kirchen in solch festgefahrenen Konflikten eine besondere Aufgabe zu. Gerade Christinnen und Christen - und davon sei auch der Papst überzeugt - sollten auch auf das Wirken des Heiligen Geistes vertrauen, der den Dialog und neues gegenseitiges Verständnis ermögliche.

Grundlage der christlichen Existenz

Der aus Slowenien stammende und in Rom wirkende P. Milan Zust stellt in seinen theologischen Ausführungen die fundamentale christliche Dimension von Vergebung und Heilung in den Mittelpunkt. Vergebung, die man anderen gewährt, und die Bitte um Vergebung seien unverzichtbare Schritte zur Heilung verletzter Erinnerungen und zur Versöhnung. Vergebung und das Eingeständnis der eigenen Fehler, verbunden mit der Bitte um Vergebung, würden letztlich aber die rein menschlichen Möglichkeiten überschreiten.

Die Grundlage der christlichen Existenz sei "die Liebe, die der barmherzige Vater für jeden von uns hat", so Zust. Dank dieser unverdienten Barmherzigkeit Gottes "können auch wir sie an andere weitergeben, können wir Verletzungen und erlittenes Leid vergeben. Dank der gleichen empfangenen Liebe können wir auch das Böse erkennen, das wir anderen angetan haben, und Gott und die verletzten Menschen um Vergebung bitten." Dies sei die grundlegende Dimension der christlichen Auffassung von Vergebung und Versöhnung.

Freilich: Erlittene Wunden können so tief sein, dass wahre Heilung mehrere Generationen brauche, räumt Zust ein. Umso notwendiger sei es, sich immer wieder Gott zuzuwenden, der diese Wunden wandeln könne. Psychologie, Soziologie und andere Humanwissenschaften seien auf dem Weg der Versöhnung sicher hilfreich, reichten aber nicht aus, denn: Ohne Begegnung mit Christus "laufen wir Gefahr, nur oberflächlich zu helfen und nie zu einer wirklichen Heilung der Wunden der Vergangenheit zu gelangen". Zust lehrt an der Gregoriana-Universität in Rom und ist Konsultor im Dikasterium zur Förderung der Einheit der Christen.

PRO ORIENTE-Blog

Die Stiftung PRO ORIENTE veröffentlicht in regelmäßigen Abständen Blog-Einträge, in denen Teilnehmende der jüngsten PRO ORIENTE-Konferenz in Trebinje (Bosnien-Herzegowina) zu Wort kommen und die zentralen Anliegen ihrer Vorträge und Beiträge bei der Tagung auf den Punkt bringen. Die Tagung vom 29. Mai bis 1. Juni 2024 stand unter dem Motto "Die Kluft überwinden - Prozesse der Heilung verwundeter Erinnerungen im früheren Jugoslawien". Sie war Teil des PRO ORIENTE-Projekts "Healing of Wounded Memories" (Verletzte Erinnerungen heilen).

Das PRO ORIENTE-Projekt "Healing of Wounded Memories" hat im November 2023 mit einer internationalen Konferenz in Wien seinen Anfang genommen. Rund 50 Teilnehmende aus Europa, den USA und dem Nahen Osten hatten dabei Aspekte einer Theologie der Versöhnung reflektiert, zugleich aber auch konkrete geopolitische Konfliktfelder in der Ukraine, in Südosteuropa und im Nahen Osten in den Blick genommen. Die Themen der Auftaktkonferenz werden nun 2024 und 2025 in regionalen Workshops in diesen Regionen vertieft. Der nächste Workshop ist für Herbst 2024 im Nahen Osten geplant.