Ostkirchenexperte Winkler: Mongolei hat faszinierende christliche Vergangenheit
Salzburger PRO-ORIENTE Vorsitzender Prof. Winkler über die vergessene Geschichte des Christentums in der Mongolei bis zum 14. Jahrhundert - Zelte als Kirchen, Stutenmilch als Messwein und geweihte Sättel und Pferdedecken als Altäre
Salzburg/Ulan Bator, 25.08.23 (poi) Wenn Papst Franziskus von 31. August bis 4. September in die Mongolei reist, kommt er in ein Land, in dem die Christinnen und Christen nur eine verschwindend kleine Minderheit darstellen. Doch das war nicht immer so, wie der Salzburger Ostkirchenexperte und Vorsitzende der örtlichen PRO ORIENTE-Sektion Prof. Dietmar Winkler gegenüber dem PRO ORIENTE-Informationsdienst erläuterte. Über viele Jahrhunderte habe es auf dem Gebiet der heutigen Mongolei ein blühendes kirchliches Leben gegeben - von dem heute aber kaum noch jemand weiß.
Die "Kirche des Ostens", die sich im Perserreich relativ losgelöst vom Rest der Christenheit entwickelte, entfaltete eine rege Missionstätigkeit. Mitte des 7. Jahrhunderts erreichten die ersten Missionare bereits China und gründeten dort christliche Gemeinden. Schon davor hatte die Kirche im Gebiet der heutigen Mongolei in einem gewissen Rahmen Fuß gefasst.
Diese "Kirche des Ostens" habe eine Vielzahl von Völkern umfasst, darunter iranische, syrische, türkische, mongolische und chinesische. Verbunden gewesen seien diese verschiedenen christlichen Kulturen durch die gemeinsame syrische (aramäische) Liturgie, erläuterte Winkler. Der Katholikos in Bagdad war das spirituelle Oberhaupt einer geografisch riesigen Kirche.
Im 9. Jahrhundert erfuhr die christliche Expansion einen massiven Dämpfer, weil der chinesische Kaiser aus politischen Motiven heraus das Christentum verbot. Vor allem die vorerst in religiösen Belangen tolerante Herrschaft der Mongolen ermöglichte der Kirche im 12. und 13. Jahrhundert auch ein Comeback in Zentralasien und im Fernen Osten. Kublai Khan eroberte 1279 das chinesische Reich und begründete die Yuan-Dynastie, welche bis 1368 das Land beherrschte. Ostsyrische Christen hätten im nun mongolisch regierten Reich der Mitte oft eine Schlüsselrolle gespielt, so Winkler: "So waren viele Christen Provinzgouverneure oder hohe Offiziere in der Armee."
Genaue Zahlen über den damaligen christlichen Anteil an der Bevölkerung gebe es aber nicht, räumte der Experte ein. Fest stehe: "Die Christen waren eine Minderheit, aber eine wichtige Minderheit." Und: "Verbunden durch die Seidenstraßen übertraf die 'Kirche des Ostens' damals die katholische und die orthodoxe Kirche in Bezug auf ihre geografische Ausdehnung sowie die Völker und das Spektrum der Sprachen bei weitem."
Christliche mongolische Stämme
Im heutigen Gebiet der Mongolei waren zu dieser Zeit mongolische Stämme ganz oder teilweise christlich. Dies betraf vor allem den Turk-Stamm der Öngüt, der eng mit den Mongolen verbunden war. Im Mittelalter hätten die Päpste noch davon gewusst und zumeist franziskanische Gesandte an den Mongolenhof in Karakorum entsandt, so Winkler. In der Vatikanischen Bibliothek fänden sich noch entsprechende Briefe des Patriarchen der Kirche des Ostens, Yahballaha III., unter dem diese Kirche über ganz Asien verbreitet war. Winkler: "Die Briefe sind in mongolischer, uighurischer und arabischer Schrift erhalten."
Unter den päpstlichen Gesandten seien etwa Johannes de Plano Carpini und Wilhelm von Rubruk bekannt, die Asien Jahrzehnte vor Marco Polo erkundeten und ebenso wertvolle Reiseberichte hinterließen. Winkler: "Die Europäer, die im Mittelalter in den Fernen Osten reisten, berichteten von ihren Begegnungen mit 'nestorianischen' Christen. Diese Bezeichnung war zwar damals üblich, ist allerdings ein theologisch falscher Name für das ostsyrische Christentum."
Ein mongolischer Mönch in Rom und Paris
Zur gleichen Zeit, als Marco Polo durch Asien reiste, brachen zwei mongolische christliche Mönche von China aus in die entgegengesetzte Richtung auf. Sie reisten entlang der Seidenstraßen durch die Mongolei und Zentralasien und erreichten Bagdad, den Sitz ihres Patriarchen. Einer der beiden Mönche wurde zum nächsten Patriarchen - Yahballaha III. - gewählt. Der zweite Mönch reiste weiter nach Konstantinopel, Rom und Paris. Sein bemerkenswerter Bericht, der in einem syrischen Dokument überliefert ist, sei ein Spiegelbild der Geschichte Marco Polos: "Der Osten schaut auf den Westen", so Winkler. Der Bericht zeige die enorme geografische Ausdehnung der Kirche des Ostens von Mesopotamien bis nach China, mit Gemeinschaften, die sich über die iranischen, turkisch-uighurischen, chinesischen und mongolischen Völker erstreckten.
Christliche Relikte in der Mongolei
Von diesem Christentum finden sich bis heute in der Mongolei christliche Relikte, die zu einem großen Teil auch archäologisch dokumentiert wurden. Winkler: "Das ostsyrische Christentum zeigte eine erstaunliche Inkulturationskraft, denn Inschriften sind auf Syrisch, Uighurisch und Chinesisch erhalten. Oft wird die syrische Schrift verwendet, um andere Sprachen wie Sogdisch (Altiranisch) oder Uighurisch zu verschriftlichen."
Die Sprache der christlichen Liturgie sei auch in der mongolischen Steppe Syrisch gewesen. Da die Mongolen zum überwiegenden Teil Nomaden waren und keine eigene Schrift hatten, übernahmen sie auch das syrische Alphabet. "Diese mongolischen Stämme dekorierten ihre Grabsteine mit Kreuzen, die aus Lotusblumen, Drachen und taoistischen Symbolen bestehen oder als Baum des Lebens emporwachsen", erläuterte der Ostkirchenexperte.
Ein solcher dokumentierter Grabstein aus der Inneren Mongolei sei dem Stein von Rosetta, mit dem der französische Gelehrte Jean-Francois Champollion die Hieroglyphen entzifferte, nicht unähnlich: mit Inschriften auf der linken Seite in syrischer und auf der rechten Seite in chinesischer Schrift, mit unterschiedlichen Schrifttypen in syrischer, alt-uighurischer und chinesischer Sprache. Und mit einer Ikonografie, die auf christliche, buddhistische und taoistische Motive zurückgreift. Winkler: "Man stelle sich die Handwerker vor, die an diesem Stein gearbeitet haben - wie gut sie mit diesen Schriften und Motiven umgehen konnten, die Ost und West verbinden. Kein Wissenschaftler heute schafft dies allein, und man braucht ein interdisziplinäres Team, um sich einem solchen Objekt zu nähern, und um es vollständig zu verstehen."
Kirche mit nomadischer Prägung
Inkulturationsprozesse führten dazu, dass die Mongolen der christlichen Religion Elemente alten Stammesglaubens hinzugefügt haben. Auf die Lebensumstände der nomadischen Bevölkerung musste ebenfalls Rücksicht genommen werden. Beispielsweise habe man als Messwein Stutenmilch verwendet, denn in der mongolischen Steppe gibt es keinen Weinanbau. Als Kirche habe ein Zelt gedient, das oft neben dem Zelt des Khans lag, "denn die Bischöfe hatten keinen festen Sitz, sondern zogen mit den Stämmen umher", so Winkler: "Dazu passt dann auch, dass man für den Altar zuweilen einen Sattel oder eine geweihte Pferdedecke heranzog."
Wie die christlichen Konvertierungen damals in der Mongolei genau vor sich gegangen sind, liege großteils im Dunkel, räumte der Experte ein. Hochzeiten hätten jedenfalls eine Rolle gespielt, dadurch hätten die Ostsyrer Einfluss in mongolischen Familien bekommen. Auch seien die Mongolen in religiöser Hinsicht recht tolerant gewesen: "Wie wir aus mittelalterlichen Reiseberichten und anderen Dokumenten wissen, besuchten die Khans oft christliche Messen, aber ebenso buddhistische und später muslimische Zeremonien. Für die Mongolen galt, dass jeder Gott ihnen wohlgesonnen sein sollte."
Grausames Ende
Die Blütezeit des ostsyrischen Christentums in Zentralasien wurde im 14. Jahrhundert durch einen politischen Wechsel abrupt beendet. Als 1368 die (chinesische) Ming-Dynastie die mongolische Yuan-Dynastie ablöste, wurden sämtliche "Fremdreligionen" ausgewiesen. Im Laufe der nächsten hundert Jahre dürften die Gläubigen der ostsyrischen Kirche vor allem durch brutale Feldzüge einzelner Fürsten stark dezimiert worden sein, so Winkler. Hervorzuheben sei dabei der Eroberer Timur Lenk (Tamerlan), "der konfessionsübergreifend blutig in seinen Eroberungszügen vorging und das Zentrum seines Reiches in Samarkand errichtete". Das Christentum war danach aus Ost- und Zentralasien fast gänzlich verschwunden.