Neues PRO ORIENTE-Magazin nimmt orthodoxe Brennpunkte in den Blick
Aktuelle Ausgabe des PRO ORIENTE-Magazins in neuem Layout erschienen
Derzeitige positive wie negative Entwicklungen in der Orthodoxie stehen im Mittelpunkt der aktuellen Ausgabe des PRO ORIENTE-Magazins. Konkret geht es um den Ukraine-Konflikt, die neue Unabhängigkeit der Kirche in Nordmazedonien sowie den orthodoxen Kirchenstreit in Afrika. Das PRO ORIENTE-Magazin ist erstmals in einem neuen Layout erschienen. Das Anliegen, aktuelle Themen mit profunden Beiträgen von Expertinnen und Experten aufzuarbeiten, ist dabei gleich geblieben.
Den spannungsreichen Beziehungen zwischen den orthodoxen Kirchen in Russland und der Ukraine widmet sich die deutsche Theologin und Russland- bzw. Ukraine-Expertin Regina Elsner in ihrem Beitrag. Auch nach dem Ende der Sowjetunion sei die Russisch-orthodoxe Kirche (ROK) der Vorstellung einer orthodoxen Gemeinschaft auf dem Gebiet der mittelalterlichen Rus treu geblieben und habe die kirchliche Jurisdiktion über die baltischen Staaten, Belarus, die Ukraine, die Republik Moldau sowie Kasachstan beansprucht. Staatliche Grenzen, so die Moskauer Kirchenleitung, sollten die geistliche Gemeinschaft nicht behindern.
Mit dieser Entscheidung habe Moskau aber in den folgenden Jahren die eigenständigen theologischen, pastoralen und gesellschaftlichen Entwicklungen in den Nachbarländern ausgeblendet und damit das Verständnis für die eigenen Gläubigen dort verloren, konstatiert Elsner. Besonders bedeutend sei dies für die Ukraine gewesen, wo die Abspaltung des sogenannten Kiewer Patriarchats der Inbegriff der politisierten Kritik an Moskau wurde und andere Entwicklungen unter den eigenen Gläubigen nicht mehr wahrgenommen wurden.
Dieses Unverständnis der Entwicklung der ukrainischen Orthodoxie und Gesellschaft habe schließlich dazu geführt, dass die pro-europäischen Proteste des Maidan 2013/14 und die geschlossene Unterstützung aller Religionsgemeinschaften für die Proteste die Moskauer Kirchenleitung unerwartet trafen. Im Weltbild der russischen Orthodoxie wurden so die folgenden Ereignisse, auch die Autokephalie der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) im Jahr 2019, als bösartiges Eingreifen ausländischer "Feinde" gedeutet, und sie wurde darin durch die politische Strategie Russlands bestärkt, so Elsner.
Auch die zumindest bis Mai 2022 mit Moskau verbundene Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK) hatte eine ausgeprägte ukrainische Identität entwickelt, die jedoch weder von der russischen Mutterkirche noch von den orthodoxen Gläubigen der OKU anerkannt und ernst genommen wurde.
Viele Bischöfe der UOK und das Kirchenoberhaupt Metropolit Onufrij versuchten seit 2014, sich aus den gesellschaftspolitischen Debatten des Landes herauszuhalten und an einer rein geistlichen Gemeinschaft mit Moskau festzuhalten. Die ukrainische Bevölkerung, die seit 2014 von Russland mit dem Krieg im Osten des Landes bedroht war, habe diese Haltung aber kaum nachvollziehen können. Elsner: "Eine Trennung von politischer und religiöser Identität funktionierte nicht mehr in einer Situation, in der die ukrainische Bevölkerung sich Umfragen zufolge zunehmend zivilgesellschaftlich identifizierte und von ihrer Kirche eine eindeutige Solidarisierung und das Aussprechen von Wahrheit im Krieg erwartete. Weder die Moskauer noch die Kiewer Kirchenleitung war dazu in der Lage."
Laut Elsner könne davon ausgegangen werden, "dass in einer friedlichen Situation die kirchenrechtlichen Schwierigkeiten, die vor allem mit der Fraglichkeit der Bischofsweihen in der OKU zusammenhängen, in einem langen, aber gemeinsamen Dialogprozess hätten geklärt werden können". Der Krieg und die damit verbundenen imperialen Ansprüche der russischen Kirche auf die Ukraine hätten jedoch auch die innerorthodoxen Gesprächskanäle zwischen Moskau und Kiew sowie zwischen Moskau und den anderen orthodoxen Kirchen vollständig zerstört, so Elsner.
Innerhalb der Ukraine bedingte der Krieg außerdem ein hohes Maß an Misstrauen, Propaganda und gegenseitigen Vorwürfen, "die eine Annäherung der beiden ukrainischen Kirchen aktuell sehr schwierig machen". Die Zukunft der ROK wagt Elsner in ihrem Beitrag nicht zu prognostizieren. "Die Kirche unterstützt den Krieg offen auch mit religiösen Argumenten, sie sagt den mobilisierten Soldaten Gottes Sündenvergebung für den Fall des Todes bei der Verteidigung des Vaterlands zu und ist an den teilweise fragwürdigen Methoden der Flüchtlingshilfe in Russland beteiligt." Sie unterdrücke zudem systematisch die eigenen Gläubigen, die sich gegen den Krieg äußern, und ignoriere das Leid und die Zerstörung in der Ukraine sowie die Verbrechen der russischen Armee. All dies lege nahe, "dass nur ein fundamentaler Prozess der Umkehr und Anerkennung der eigenen Schuld wieder einen ernsthaften Dialog mit anderen Kirchen, auch den ukrainischen, ermöglichen kann", so Elsner.
Mazedonische Unabhängigkeit
Der Belgrader orthodoxe Ökumene-Experte Prof. Rade Kisic zeichnet in seinem Beitrag die jüngste Wiederherstellung der vollen kirchlichen Gemeinschaft zwischen der Serbisch-orthodoxen Kirche (SOK) und der Mazedonischen Orthodoxen Kirche (MOK) nach bzw. berichtet, wie die MOK unerwartet und in kurzer Zeit ihre Unabhängigkeit erhielt. Die jüngere Vorgeschichte ist komplex und voller überraschender Wendungen, letztlich überreichte der serbische Patriarch Porfirije Erzbischof Stephan von der MOK am 5. Juni 2022 den Tomos zur Autokephalie.
Damit sei die Sache freilich noch nicht abgeschlossen, so Kisic. Nach der Unterzeichnung seitens des serbischen Patriarchen wurde dieser Tomos allen orthodoxen Kirchen zur Annahme übersendet, da nicht die SOK allein, sondern nur die Gemeinschaft der gesamten Orthodoxen Kirche die Anerkennung der neuen Autokephalie gewährleisten könne, wie Kisic erläutert. In der bisherigen Geschichte der Orthodoxen Kirche habe sich jedoch mehrmals erwiesen, dass die Anerkennung einer neuen Autokephalie von allen orthodoxen Kirchen ein langwieriger Prozess sein kann. Bisher hätten erst die Russische Orthodoxe Kirche und die Polnische Orthodoxe Kirche die Autokephalie der MOK anerkannt, wobei auch andere Kirchen die eucharistische Gemeinschaft mit der MOK aufgenommen haben.
Die Proklamation der Autokephalie der MOK habe von Neuem alte Fragen aufgeworfen, betont Kisic: "Wer hat das Recht, eine Autokephalie zu verleihen? Welche panorthodoxen Kompetenzen stehen dem Ökumenischen Patriarchen zu? Wie sind die Begriffe "kanonisches Territorium" oder "Mutterkirche" in der heutigen kirchlichen Lehre und Praxis zu verstehen?" Dabei spielten Identitätsfragen und andere nicht-theologische Faktoren eine nicht zu unterschätzende Rolle. Freilich: "Das oberste Ziel aller kirchlichen Institutionen auf der lokalen, regionalen und universalen Ebene ist jedoch die Bewahrung (oder wenn nötig Wiederherstellung) der eucharistischen Einheit der Kirche, sodass man im Fall der MOK davon ausgehen kann, dass dieses Ziel schon erreicht worden ist."
Wann und wie es zu einer Lösung der darüber hinaus gehenden Fragen kommen kann, bleibe abzuwarten – "und die Aufgabe bleibt bestehen, sich dafür auch weiterhin unermüdlich einzusetzen und beharrlich an der Lösung dieser Fragen zu arbeiten", so der orthodoxe Theologe.
Russlands Griff nach Afrika
Über die russischen Aktivitäten in Afrika berichtet schließlich die Wiener Juristin und Ostkirchenexpertin Prof. Eva Synek. Vordergründig sei das Eindringen des Moskauer Patriarchats in den traditionellen Jurisdiktionsbereich des Alexandrinischen Patriarchats eine Folge der alexandrinischen Anerkennung der neuen autokephalen Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) gewesen, die von Moskau vehement abgelehnt und als schismatisch bezeichnet wird. Das Vorgehen des Moskauer Patriarchats sei aber nicht nur eine Reaktion auf diesen Konflikt gewesen, so Synek. Es bestehen darüber hinaus deutliche Querverbindungen zum politisch-militärischen Engagement der Russischen Föderation in Afrika. Eine entsprechende Instrumentalisierung der ROK habe eine lange Tradition.
Als die ROK wenige Wochen vor dem russischen Angriff auf die Ukraine die Errichtung einer eigenen, den ganzen Kontinent abdeckenden Kirchenstruktur ("Exarchat") für Afrika bekanntgab, wurden einige Journalistinnen und Journalisten hellhörig und registrierten dann auch, wie rasant schnell das russische Exarchat in der Zentralafrikanischen Republik – in einem jener Staaten, die die UN-Resolution vom 2. März gegen Russland nicht unterstützen – staatliche Anerkennung erlangte.
Kirchenbauten, Bildungsprojekte und humanitäres Engagement inkludierende ROK-Initiativen in Afrika habe es schon länger gegeben, so Synek. Sie bedurften bislang aber grundsätzlich der Zustimmung des Patriarchats von Alexandrien. Dieses hätte nie ein Problem mit der weitgehenden Autonomie russischer Emigrantengemeinden gehabt, schreibt die Expertin. Faktisch gehörten diese Emigrantengemeinden über lange Zeit größtenteils zur Russischen Auslandskirche, zu der Alexandrien bis in die 1960er-Jahre parallel zu Moskau gute Beziehungen pflegte. Als die auslandskirchlichen Gemeinden auszudünnen begannen, hätten russischstämmige Christinnen und Christen auch immer öfter die seelsorglichen Angebote der Lokalkirche wahrgenommen. "Da und dort wurde aus dem bislang respektvollen Nebeneinander von Orthodoxen mit unterschiedlichem Background ein Miteinander", betont Synek. Nachsatz: "Vielleicht ein Hoffnungszeichen für die Zukunft?"