Nahost-Kirchenrat sorgt sich um kriegstraumatisierte Menschen
Im Libanon angesiedelte ökumenische Organisation hat für Kriegstraumatisierte spezielle psychologisch-seelsorgliche Hilfsprogramme ins Leben gerufen - Der melkitische Priester und Theologe Prof. Hachem erläutert in PRO ORIENTE-Blog-Beitrag die theologischen Grundlagen des Programms
Beirut/Wien, 22.11.24 (poi) Der ökumenische Nahost-Kirchenrat betreibt seit vielen Jahren spezielle psychologisch-seelsorgliche Hilfsprogramme für kriegstraumatisierte Personen. Erstmals wurde das Programm nach dem Libanonkrieg 2006 eingeführt und dann 2018 wieder aufgenommen. Die Hilfeleistung für die Traumatisierten erfolgt nach modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen und beinhaltet u.a. auch Psychotherapie. Dem Kirchenrat kommt es aber auch auf die Dimension des christlichen Glaubens an, wie der libanesische Priester und Theologe Prof. Gabriel Hachem in einem neuen Beitrag im PRO ORIENTE-Blog darlegt.
Der Kirchenrat hat dafür ein spezielles Programm für Geistliche entwickelt, um ihnen bei der Heilung von Traumata nach Kriegen und anderen Gewalterfahrungen zu helfen. Gesundheitsfürsorge, Psychotherapie und geistliche Beratung würden miteinander verbunden.
Hachem schreibt im Blog über die theologischen Grundlagen für die "Heilung von Wunden". Dafür wurden vier Worte Christi ausgewählt, die das Rückgrat jeder Sitzung bilden. Erstens die Frage an die Wache beim Verhör vor dem Hohen Rat: "Warum schlägst du mich?" (Joh.18,23). Dieses erste Wort drücke die Tiefe des Schocks, die Ablehnung der schmerzhaften Realität und die innere Auflehnung gegen die Ereignisse aus. Jedes Trauma werfe existenzielle Fragen auf, die gestellt werden müssten. Diese Fragen seien daher Zeichen der Aufmerksamkeit und Wertschätzung und stellten den verwundeten Menschen in den Mittelpunkt des Programms, so Hachem.
Die Traumata könnten auch zu Glaubenszweifeln führen, so der Theologe weiter. Die Menschen fühlten sich von Gott verlassen und ihrem Schicksal überlassen. Eine Erfahrung, die auch Jesus nicht fremd war. Die Worte Jesu am Kreuz "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Mt 26,47) könnten traumatisierten Menschen deshalb helfen, ihren Glauben zu bewahren, zeigt sich Prof. Hachem überzeugt.
Das dritte Wort Jesu (am Kreuz) lautet schließlich: "Vater, vergib ihnen" (Lk 23,34). Hachem schreibt dazu: "Ohne Vergebung gibt es weder Heilung von Traumata noch Heilung von Wunden. Der Höhepunkt des Lebens Christi zeigt sich in seinen Worten am Kreuz, als sein Herz zu einer sprudelnden Quelle der Liebe für andere wurde, denn Vergebung ist das stärkste Zeichen der Liebe."
Das (vierte) Wort Jesu: "Ich bin die Auferstehung und das Leben" (Joh. 11,25) bringe schließlich ganz stark die im Glauben an die Auferstehung gründende christliche Hoffnung ins Spiel.
Gabriel Hachem ist Priester der Melkitischen Griechisch-katholischen Kirche und lehrt an der Heilig-Geist-Universität von Kaslik (Libanon). Hachem ist seit mehreren Jahren eng mit der Stiftung PRO ORIENTE verbunden. So gehört er einem Team an, das im gesamten Nahen Osten und in Österreich ökumenische Jugendworkshops veranstaltet. Er unterrichtete auch bereits im PRO ORIENTE-"Summer Course" und nimmt aktiv am Projekt "Healing of Wounded Memories" teil, zuletzt mit einem Vortrag beim Workshop über die Heilung verletzter Erinnerungen in der Nahost-Region. Der aktuelle Blog-Beitrag basiert auf diesem Vortrag.
PRO ORIENTE-Blog
Die Stiftung PRO ORIENTE veröffentlicht in regelmäßigen Abständen Blog-Einträge, in denen Teilnehmende der jüngsten PRO ORIENTE-Konferenz in Nikosia /Zypern (10. bis 13. Oktober) zu Wort kommen und die zentralen Anliegen ihrer Vorträge und Beiträge bei der Tagung auf den Punkt bringen. Der Workshop fand im Rahmen des PRO ORIENTE-Projektes "Healing of Wounded Memories" (Verletzte Erinnerungen heilen) statt. Insgesamt nahmen 32 Expertinnen und Experten teil, davon 22 aus den Ländern des Nahen Ostens (Ägypten, Irak, Jordanien, Libanon, Palästina und Syrien). Die Teilnehmenden gehörten zu elf verschiedenen Kirchen des Nahen Osten aus vier Kirchenfamilien (orthodox, orientalisch-orthodox, katholisch und evangelisch). Dazu nahmen Vertreterinnen und Vertreter aus den anderen zwei Regionen des Projektes (Südosteuropa und Osteuropa) sowie Mitglieder der PRO ORIENTE-Kommission für katholisch-orthodoxen Dialog teil, die das Projekt initiiert hatte.
Das PRO ORIENTE-Projekt "Healing of Wounded Memories" hat im November 2023 mit einer internationalen Konferenz in Wien seinen Anfang genommen. Rund 50 Teilnehmende aus Europa, den USA und dem Nahen Osten hatten dabei Aspekte einer Theologie der Versöhnung reflektiert, zugleich aber auch konkrete geopolitische Konfliktfelder in der Ukraine, in Südosteuropa und im Nahen Osten in den Blick genommen. Die Themen der Auftaktkonferenz wurden und werden in regionalen Workshops in diesen Regionen vertieft.
Zum Blog: www.pro-oriente.at/blog/healing-of-wounded-memories