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Lutherische Erzbischöfin: Gemeinsame Taufe als neues „Dynamit“ für die Ökumene

Emeritierte schwedische Erzbischöfin Jackelén hielt Eröffnungsvortrag zum diesjährigen PRO ORIENTE-Summer Course in Wien

POI 240903

Foto: Georg Pulling

Wien, 03.09.24 (poi) Für ein von der Taufe her begründetes Kirchenverständnis (Ekklesiologie) hat die schwedische lutherische emeritierte Erzbischöfin Antje Jackelén plädiert. Dies könne die Ökumene ein gutes Stück voranbringen. Die Taufe verbinde alle Christinnen und Christen, so Jackelén. Eine solche Ekklesiologie sei wie „Dynamit“, mit dem von Menschen errichtete, kirchentrennende Wände zum Einsturz gebracht werden könnten, um neuen Raum für den Heiligen Geist zu schaffen. Jackelén hielt am Montagabend in Wien den Eröffnungsvortrag des diesjährigen PRO ORIENTE-Summer Course.

Der Summer Course steht heuer unter dem Motto "Ökumene und Lernen" und findet bis Donnerstag in Wien statt. Die Stiftung PRO ORIENTE bietet damit wieder eine bereits bewährte Plattform für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus verschiedenen Ländern und kirchlichen Traditionen, um ihre Forschungen zu präsentieren, sich zu vernetzen und sich auch mit etablierten Theologinnen und Theologen auszutauschen.

Mehr als 20 Teilnehmende aus 9 Ländern und 13 Kirchen nehmen heuer teil. Sie stammen aus Europa, Indien und dem Nahen Osten und gehören allen großen Kirchenfamilien (Kirchen der Reformation, Katholische Kirche, Orthodoxe Kirche, Orientalisch-orthodoxe Kirchen) an. Bei der öffentlichen Auftaktveranstaltung im Wiener Michaelerkloster richteten der armenisch-apostolische Bischof und Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, Tiran Petrosyan, und Kardinal Christoph Schönborn Grußworte an die Teilnehmenden. Beiden hoben die Bedeutung des voneinander Lernens in der Ökumene hervor; nicht nur im akademisch-theologischen Bereich, sondern in vielen weiteren Feldern kirchlichen Wirkens, etwa in der praktischen Seelsorge oder auch in sozialen Aktivitäten.

Das Thema des diesjährigen Kurses könne nicht aktueller sein, so Bischof Petrosyan: „Wenn wir die sich verändernde Landschaft der religiösen Bildung betrachten, sehen wir den wachsenden Bedarf an ökumenischem Verständnis und Dialog.“ Die Verbindung von Bildung und Ökumene sei schon immer von entscheidender Bedeutung gewesen. An der Schnittstelle dieser beiden Bereiche könnten neue neue Möglichkeiten erkundet werden, „wie wir die Einheit fördern und gleichzeitig unsere Vielfalt respektieren können“.

Kardinal Schönborn wies in seinem Grußwort, das von seiner Kabinettsleiterin Nina Sevelda-Platzl verlesen wurde, da der Kardinal persönlich verhindert war, auch auf das jüngste vatikanische Ökumene-Dokument „Der Bischof von Rom“ hin. In diesem Dokument des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen werden die Früchte bisheriger ökumenischer Dialoge aufbereitet, und es wird zur Weiterarbeit angeregt. In dem Dokument liege auch eine große ökumenische Chance, zeigte sich der Wiener Erzbischof und Vorsitzende des Kuratoriums von PRO ORIENTE überzeugt.

Neue PRO ORIENTE-Broschüre

Petrosyan, Schönborn und auch PRO ORIENTE-Präsident Alfons M. Kloss unterstrichen, dass das Lernen voneinander in der Ökumene von Anfang an zum Kernauftrag von PRO ORIENTE gehört. Die Stiftung feiert heuer ihr 60-Jahr-Jubiläum. Kloss zeigte sich zutiefst dankbar für das Viele, das in den vergangenen 60 Jahren im Blick auf das Lernen voneinander passiert sei. Zugleich blicke er zuversichtlich in die Zukunft, so Kloss.

Passend dazu präsentierte Kloss die soeben erschienene PRO ORIENTE-Broschüre „Dem Osten zuhören“. Diese bietet eine Einführung in die Geschichte der Kirchen des Ostens sowie einen Einblick in ökumenische Aspekte des von Papst Franziskus initiierten Synodalen Prozesses in der katholischen Kirche. Dazu werden die zentralen Akzente ostkirchlicher Synodalität, wie sie bei zwei PRO ORIENTE-Konferenzen im Herbst 2022 in Rom deutlich wurden, präsentiert und kommentiert. Begleitend zum Buch ist eine neue Kurzversion des PRO ORIENTE-Dokumentarfilms „Dem Osten zuhören“ erschienen, der im Rahmen der römischen Tagungen entstanden ist.

Historisches Ereignis in Lund

Ausgangspunkt der Überlegungen von Bischöfin Jackelén in ihrem Vortrag war die gemeinsame lutherisch-katholische Gedenkfeier, die als Auftakt zum 500-Jahr-Jubiläum der Reformation am 31. Oktober 2016 im schwedischen Lund stattfand. Zu der Feier war auch Papst Franziskus angereist. Jackelén war von 2007 bis 2014 Bischöfin der Diözese Lund und von 2014 bis 2022 Erzbischöfin von Uppsala und damit Leitende Bischöfin der evangelisch-lutherischen Kirche von Schweden.

Die Feier in Lund sei in mehrfacher Hinsicht historisch, einzigartig und bahnbrechend gewesen, so Jackelén. Der Vatikan und der Lutherische Weltbund hatten gemeinsam eingeladen. „Der Papst kam als einer von zwei Einladenden“, so Jackelén wörtlich. Auf den Gottesdienst unter dem Motto „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ in der Kathedrale von Lund folgte die Veranstaltung „Verbunden in Hoffnung“ in der nahe gelegenen Malmö-Arena. Beide Veranstaltungen wurden von katholischer und evangelischer Seite gemeinsam geplant.

Der Papst und die Vertreter des Lutherischen Weltbundes unterzeichneten zudem ein gemeinsames Dokument, in dem fünf ökumenische Imperative angeführt werden. Der erste Imperativ besage, immer von der Einheit auszugehen und nicht von der Trennung, um das Gemeinsame zu stärken und den Unterschieden weniger Gewicht zu geben. Der zweite Imperativ rufe lutherische und katholische Christinnen und Christen dazu auf, „sich durch die Begegnung mit dem anderen und durch das gegenseitige Glaubenszeugnis ständig verändern zu lassen“. Der dritte Imperativ verpflichte Angehörige beider Kirchen, stets die sichtbare Einheit zu suchen und gemeinsam in Theorie und Praxis darauf hin zu arbeiten. Der vierte Imperativ appelliert an die lutherischen und katholische Gläubigen, „gemeinsam die Kraft des Evangeliums von Jesus Christus für unsere Zeit neu zu entdecken“. Der fünfte Imperativ ruft schließlich beide Seiten auf, gemeinsam die Barmherzigkeit Gottes in der Verkündigung und im Dienst an der Welt zu bezeugen“.

Schließlich kam Jackelén ausführlich auf die allen Kirchen gemeinsame Taufe zu sprechen. Wenn diese Taufe die Grundlage des Kirchenverständnisses sei, könnten in der Ökumene „viele bislang hohe Berge der Unterschiede zu niedrigen Hügeln schrumpfen“. Diese Hügel könnte man gemeinsam erklimmen „und eine Aussicht genießen, die wir vorher nicht hatten“. Solche Perspektiven seien dringend nötig, „um der Welt willen, die Gott so sehr geliebt hat, dass er seinen Sohn in die Welt gesandt hat, nicht um sie zu verurteilen, sondern damit die Welt durch Jesus Christus gerettet wird“, schloss Erzbischöfin Jackelén.

Bewährtes ökumenisches Format

Den PRO ORIENTE-"Summer Course" gibt es seit 2015. Er findet bis auf die Auftaktveranstaltung in nicht öffentlicher Form im Wiener Kardinal-König-Haus statt. Zudem steht für die jungen Teilnehmenden auch ein Besuch mit Begegnungen in der koptisch-orthodoxen Kathedrale in der Wiener Quadenstraße auf dem Programm.

Referierende beim "Summer Course" sind heuer neben Antje Jackelén der deutsche Orthodoxie-Experte Prof. Stanislau Paulau, der libanesische melkitische Priester und Theologe Prof. Gabriel Hachem und die deutsche Theologin Prof. Ulrike Bechmann. Für die Organisation sind die in Regensburg lehrende österreichische Theologin Prof. Andrea Riedl, PRO ORIENTE-Referentin Viola Raheb und die Ökumene-Expertin Katherine Shirk Lucas von der Katholischen Universität Paris verantwortlich.