Pro Oriente
News / Bosnischer orthodoxer Geistlicher: "Gedenke der Opfer – vergiss das Böse!"

Bosnischer orthodoxer Geistlicher: "Gedenke der Opfer – vergiss das Böse!"

Diakon Rajkovic plädiert in PRO ORIENTE-Blog für "Kultur des Vergessens": "Wenn wir in der Gegenwart leben wollen, sollten wir uns an die Opfer erinnern, aber nicht an das Böse"

Blog 2024 Rajkovic

Wien/Trebinje, 30.08.24 (poi) Echte Versöhnung ist unter Umständen an eine gewisse "Kultur des Vergessens" gebunden. Der serbisch-orthodoxe Geistliche Diakon Branislav Rajkovic erläutert in einem aktuellen Beitrag des PRO ORIENTE-Blogs, was er darunter versteht. Aus persönlicher Erfahrung könne er sagen, so Rajkovic, dass er in der Erinnerung an das Böse kein besonderes Potenzial sehe, "um zu verhindern, dass sich dasselbe Böse wiederholt". Deshalb seine Maxime: "Gedenke der Opfer – vergiss das Böse!"

Rajkovic weiß, wovon er spricht. Seine Eltern kamen im Zuge des Bosnien-Krieges in den 1990er Jahren ums Leben. Er habe das Erinnern allzu oft als Vorwand für Rachsucht erlebt und als Weg der Opfer, sich selbst zu Verbrechern zu machen und die Verbrecher zu Opfern – ein endloser Kreislauf. Zudem werde man stets von der Vergangenheit eingeholt. Deshalb sein Appell: "Wenn wir in der Gegenwart leben wollen, sollten wir uns an die Opfer erinnern, aber nicht an das Böse."

Dieses Vergessen sei freilich weder eine "pathologische Unterdrückung des Gedächtnisses" noch eine "traumatische Amnesie", sondern die Folge davon, dass man das geschehene Böse als unwichtig für das weitere Leben erachte.

Rajkovic, der auch Sprecher der orthodoxen Diözese Zahumlje-Herzegowina ist, zitiert in diesem Zusammenhang den Kirchenvater Johannes Klimakos: "Um sich die Vergebung der Sünden zu verdienen, haben sich manche zu anstrengenden Taten aufgerafft. Aber ein Mensch, der sich nicht an die Übel erinnert, erreicht sein Ziel vor ihnen. (...) Sich nicht an das Böse zu erinnern, ist ein Zeichen wahrer Reue."

Rajkovic ist inzwischen in Bosnien weithin für seinen Einsatz für Frieden und Versöhnung bekannt, zugleich auch dafür, dass er nicht über die Vergangenheit, die Verbrechen und das Leiden sprechen will – weil er eben überzeugt ist, dass dies nicht zu Versöhnung führt. Einem breiten Publikum bekannt ist Rajkovic wegen seiner gemeinsamen Gesangsauftritte mit dem muslimischen Sänger Armin Muzaferija.

PRO ORIENTE-Konferenz in Trebinje

Die Stiftung PRO ORIENTE veröffentlicht in regelmäßigen Abständen Blog-Einträge, in denen Teilnehmende der jüngsten PRO ORIENTE-Konferenz in Trebinje (Bosnien-Herzegowina) zu Wort kommen und die zentralen Anliegen ihrer Vorträge und Beiträge bei der Tagung auf den Punkt bringen. Die Tagung vom 29. Mai bis 1. Juni stand unter dem Motto "Die Kluft überwinden - Prozesse der Heilung verwundeter Erinnerungen im früheren Jugoslawien". Sie war Teil des PRO ORIENTE-Projekts "Healing of Wounded Memories" (Verletzte Erinnerungen heilen).

Das PRO ORIENTE-Projekt "Healing of Wounded Memories" hat im November 2023 mit einer internationalen Konferenz in Wien seinen Anfang genommen. Rund 50 Teilnehmende aus Europa, den USA und dem Nahen Osten hatten dabei Aspekte einer Theologie der Versöhnung reflektiert, zugleich aber auch konkrete geopolitische Konfliktfelder in der Ukraine, in Südosteuropa und im Nahen Osten in den Blick genommen. Die Themen der Auftaktkonferenz werden nun 2024 und 2025 in regionalen Workshops in diesen Regionen vertieft. Der nächste Workshop ist für Herbst 2024 im Nahen Osten geplant.

Link zum PRO ORIENTE-Blog: www.pro-oriente.at/blog/remember-the-victims-forget-the-evil