Wien: Gedenken in der griechischen Metropolis an die "Kleinasiatische Katastrophe"
Gottesdienste und Kulturprogramm erinnerten an die Ermordung und Vertreibung der letzten Griechen aus Kleinasien vor 100 Jahren
Mit einem dreitägigen Veranstaltungs- und Gottesdienstreigen hat die griechisch-orthodoxe Metropolis von Austria der "Kleinasiatischen Katastrophe" vor 100 Jahren gedacht. Für das Gedenken waren u.a. der griechische Metropolit Agathangelos von Phanari und der für Ungarn zuständige griechisch-orthodoxe Bischof Paisios von Apameia nach Wien gekommen. Da vor den Gedenktagen auch alle Kleriker der Metropolis von Austria und des Exarchats von Ungarn in Wien zu Beratungen zusammengekommen waren, nahmen diese auch an den Veranstaltungen und Gottesdiensten teil, wie einem Bericht der Metropolis zu entnehmen ist.
Unter "Kleinasiatischer Katastrophe" versteht man den Ausgang des Griechisch-Türkischen Kriegs, der unmittelbar an den Ersten Weltkrieg anschloss und 1922 mit einer Niederlage Griechenlands und der Ermordung bzw. Vertreibung fast aller Griechen aus der Türkei endete.
Am Freitag, 25. November, fand in der orthodoxen Kathedrale zur Heiligen Dreifaltigkeit in Wien eine Bischöfliche Agrypnie mit Vesper, Morgengebet und Göttlicher Liturgie statt, der Metropolit Arsenios (Kardamakis) vorstand. Am Samstagabend, 26. November, lud die Metropolis zu einer musikalischen Veranstaltung unter dem Motto "Erinnerung an den edlen Ruhm in Kleinasien". Metropolit Arsenios betonte in seinen einleitenden Worten die Bedeutung des Gedenkens an die Opfer der Katastrophe vor 100 Jahren. Es gelte, die "Flamme der Erinnerung" an die Ereignisse und Folgen der "Kleinasiatischen Katastrophe" für künftige Generationen am Brennen zu halten und die Opfer zu ehren. Das musikalische Programm des Abends in der Dreifaltigkeitskathedrale gestalteten die Chöre der Metropolis und Gastmusiker.
Am Sonntag, 27. November, stand schließlich die Göttliche Liturgie in der Kathedrale ebenfalls noch ganz im Zeichen des Gedenkens. Im Anschluss an den Gottesdienst hielt Metropolit Agathangelos von Phanari in der Kirche einen Vortrag über den "Volksmärtyrer Chrysostomos von Smyrna". Chrysostomos (Kalafatis) war Metropolit von Drama und von Smyrna. Er starb am 9. September 1922 den Märtyrertod in Smyrna (Izmir). Sein Gedenktag in der orthodoxen Kirche ist der 28. August.
Griechisch-türkischer Krieg
Als sich im Winter 1918/19 der endgültige Zerfall des Osmanischen Reiches abzeichnete, wollte Griechenland Teile Kleinasiens, in denen auch Griechen lebten, und auch die teilweise griechisch bewohnten europäischen Restgebiete der Türkei für Griechenland gewinnen. Athen übernahm u.a. die Verwaltung von Smyrna (heute Izmir), dessen Einwohner zum überwiegenden Teil Griechen waren. Die bald schon dort stationierten griechischen Truppen rückten dann jedoch weiter vor Richtung Ankara, wurden aber 1921 von türkischen Truppen gestoppt und wieder Richtung Westen zurückgedrängt.
Als die türkischen Einheiten die Stadt im September 1922 erreichten, ermordeten sie tausende griechische (und armenische) Einwohner und zerstörten deren Wohnviertel. Die Ereignisse von damals bedeuteten letztlich das weitgehende Ende griechischen Lebens in Kleinasien. Der 1922 beschlossene Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei führte dazu, dass mit Ausnahme der in Istanbul ansässigen Griechen alle übrigen noch in Kleinasien verbliebenen Griechen 1923 das Land verlassen mussten.
In Griechenland wurde die Niederlage gegen die Türken als "Kleinasiatische Katastrophe" wahrgenommen. Aus türkischer Sicht handelt es sich dagegen um einen Sieg im Befreiungskrieg. Beim Vordringen und auch Rückzug der griechischen Truppen waren zuvor auch zahlreiche Türken getötet oder vertrieben worden.
Metropolit Chrysostomos (Kalafatis)
Metropolit Chrysostomos (Kalafatis) wurde 1867 in Triglia (heute Tirilye bei Mudanya) in der Türkei geboren. Von 1884 bis 1891 besuchte er die theologische Schule auf Chalki, dann diente er als Erzdiakon des Metropoliten Konstantin Valiadis von Mytilene - dem heutigen Mytilini - auf Lesbos, danach als Kanzler an der Hagia Sophia in Istanbul. 1902 wurde Chrysostomos Metropolit von Drama in Makedonien, musste sich zeitweise von seinem Amt aber zurückziehen, da der osmanische Sultan im Einsatz des Metropoliten für die Griechen eine Gefahr erblickte. Im März 1910 wurde Chrysostomos zum Metropoliten von Smyrna ernannt.
Auch in Smyrna setzte Chrysostomos seinen nationalen Kampf fort und musste deshalb 1914 sein Amt niederlegen. Erst gegen Ende des Ersten Weltkrieges konnte er zurückkehren und war fortan auch wieder "politisch" aktiv. Während der griechischen Verwaltung von Smyrna von 1919 bis 1922 diente er als Ethnarch der kleinasiatischen Griechen und Führer der "Kleinasiatischen Verteidigung" zur Schaffung eines autonomen Staates für den Fall, dass die Besatzung des türkischen Westens durch die griechische Armee misslingen sollte.
Der Zusammenbruch der kleinasiatischen Front im August 1922 enttäuschte den Metropoliten, der die Pläne der Großmächte anprangerte, die Griechen aus Kleinasien zu entfernen. Die endgültige Einnahme von Smyrna durch die Truppen von Mustafa Kemal Atatürk bedeutete das Ende von Chrysostomos' nationalen Visionen. Als die Türken Smyrna eroberten, wurde Chrysostomos vom türkischen Kommandanten der Stadt verhaftet. Er wurde gefoltert und im Anschluss ermordet.