Sant'Egidio-Generalsekretär Zucconi in Wien: Mit dem Krieg niemals abfinden!
Vortrag des renommierten Experten für Initiativen für den Frieden im Wiener Schottenstift - Warnung vor Krieg ohne Ende in der Ukraine - "Eine Zukunft, die vom Krieg geprägt ist, ist keine Zukunft"
Wien, 21.4.23 (poi) "Mit dem Krieg dürfen wir uns niemals abfinden!" - Das war die Kernbotschaft von Sant'Egidio-Generalsekretär Cesare Zucconi, der am Donnerstagabend im Wiener Schottenstift einen Vortrag zum Thema Frieden hielt. Zucconi sprach allerdings vom "verlorenen Frieden". Auch er habe keine einfachen Antworten, Methoden oder Lösungen, wie etwa der Krieg in der Ukraine beendet werden könne. Trotzdem dürfe man sich damit auf keinen Fall abfinden, warnte Zucconi.
Es bestehe die große Gefahr, dass der Krieg in der Ukraine aufgrund einer Pattsituation noch lange weitergehen werde, "auf Kosten der ukrainischen Bevölkerung". Der Krieg als Instrument für die Durchsetzung eigener Interessen habe sich in Europa wieder rehabilitiert. "Wir haben schon das Gespür für den Frieden verloren", so Zucconi. Auch bei den Regierenden sehe er keine Friedensvisionen, sagte der Sant'Egidio-Generalsekretär.
Eindringlich verurteilte Zucconi den russischen Angriff auf die souveräne Ukraine. Und er kritisierte, Europa habe viel zu lange weggeschaut – in der Ukraine und etwa auch in Syrien, wo seit zwölf Jahren ein brutaler Krieg tobt, in dem Russland bereits den Willen gezeigt habe, seine imperialistischen Ziele auch mit brutaler Gewalt durchzusetzen.
Nichtsdestotrotz plädierte Zucconi dafür, verstärkt Möglichkeiten für Gespräche auszuloten. Dass es zumindest minimale Möglichkeiten auch aktuell noch gibt, zeigten die regelmäßigen Gefangenenaustausche zwischen der Ukraine und Russland sowie das Getreideabkommen. Zucconi wies in diesem Zusammenhang u.a. auch auf die jahrelangen mühsamen Initiativen von Sant'Egidio hin, die viel Geduld erfordert hätten, bis es endlich gelungen sei, für Mosambik ein Friedensabkommen zu erreichen.
Wie der Sant'Egidio-Generalsekretär weiter sagte, gebe es weltweit derzeit ca. 30 größere bewaffnete Konflikte, von denen die wenigsten auf öffentliches Interesse im Westen stoßen. "Wer redet von Libyen oder Afghanistan", so die Frage Zucconis. Europa dürfe sich auf seiner kleinen "Glücksinsel" nicht abkapseln. Er erinnerte an Papst Franziskus, der am 27. März 2020 mutterseelenallein auf dem Petersplatz für ein Ende der Corona-Pandemie gebetet hatte. Er habe damals auch betont, dass die gesamte Menschheit in einem gemeinsamen Boot sitzt. "Das haben wir immer noch nicht begriffen", so Zucconi, der heftige Kritik an der "Festung Europa" übte.
Er hielt der europäischen Abschottung die humanitären Korridore entgegen, die von Sant'Egidio realisiert würden, und mit denen es immer wieder gelinge, besonders vulnerable Gruppen auf legalem Weg nach Europa zu bringen.
Zucconi wies in seinen Ausführungen auch Anschauungen zurück, wonach der Einsatz für Frieden realitätsfern sei. "Eine Zukunft, die vom Krieg geprägt ist, ist keine Zukunft." Zum Frieden gebe es keine Alternativen. Zucconi erinnerte an Papst Johannes Paul II., der beim Friedenstreffen 1986 in Assisi den Frieden als "Baustelle" bezeichnet hatte, die auf Handwerker warte. Jeder Mensch könne und solle sich daran beteiligen und in diesem Sinn "Handwerker des Friedens" sein.
Einladung nach Wien
Zucconi war auf Einladung der Gruppe "Wisdom of Faith"-Wien nach Österreich gekommen. Diese Gruppe besteht aus Studierenden und anderen jungen Erwachsenen, die sich unter Begleitung von P. Martin Kammerer vom Schottenstift um persönliche Weiterbildung und Glaubensvertiefung bemühen. Mitveranstalter des Abends mit Zucconi waren die Stiftung PRO ORIENTE, das Schottenstift, das Institut für Religion und Frieden sowie die Katholisch-Theologische Fakultät und das Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.
PRO ORIENTE-Präsident Alfons Kloss verurteilte in der Diskussion mit Cesare Zucconi ebenfalls den russischen Angriff auf die Ukraine. Dieser Angriff sei ein ungeheuerlicher Einbruch in die internationale Rechtsordnung. Kloss plädierte zudem eindringlich dafür, das Gebet um den Frieden und politische Friedensbemühungen zu intensivieren. Es brauche dringend mehr Plattformen, die Begegnungen und Gespräche ermöglichten.
Gebet, Diplomatie, karitative Arbeit
Die 1968 in Rom von Studierenden um den späteren Präsidenten Andrea Riccardi gegründete Bewegung Sant'Egidio widmet sich neben dem Gebet karitativer Arbeit, Diplomatie in Bürgerkriegsgebieten, der Ökumene und dem Dialog der Religionen. Sant'Egidio war in den vergangenen Jahrzehnten bereits an zahlreichen erfolgreichen Friedensverhandlungen beteiligt, etwa für Guatemala, den Kosovo, die Elfenbeinküste oder den Südsudan. Der vermutlich größte Erfolg: In Mosambik war die Gemeinschaft maßgeblich am Zustandekommen des Friedensabkommens im Oktober 1992 zwischen den gegnerischen Parteien beteiligt. Damit konnte ein 16-jähriger Bürgerkrieg beendet werden. Immer wieder hat Sant'Egidio auch versucht, Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine in Gang zu bringen, bisher allerdings ohne Erfolg.
Die Gemeinschaft setzt sich auch seit vielen Jahren für den Dialog und die Verständigung unter den Religionen und Kulturen ein. Unter anderem veranstaltet Sant'Egidio in Nachfolge des von Papst Johannes Paul II. initiierten historischen internationalen Friedenstreffens ("Weltgebetstreffen") der Weltreligionen 1986 in Assisi jährlich ein interreligiös und interkulturell ausgerichtetes "Gebetstreffen für den Frieden".