PRO ORIENTE im Irak: Solidaritätsbesuch bei der Assyrischen und Chaldäischen Kirche
Delegation mit Salzburger Sektionsvorsitzendem Prof. Winkler an der Spitze bei historischen Feierlichkeiten der Assyrischen Kirche in Erbil - Solidaritätsbesuch beim chaldäischen Patriarchen Sako, der massiven politischen Anfeindungen ausgesetzt ist
Erbil, 10.08.23 (poi) Eine Delegation der Stiftung PRO ORIENTE besuchte dieser Tage den Nordirak. Die Abordnung nahm an den Feierlichkeiten zur Einweihung der neuen assyrischen Patriarchats-Kathedrale in Erbil teil, weiters am Gedenken an die Massaker an den assyrischen Christinnen und Christen vor 90 Jahren in Simele sowie an einem internationalen assyrischen Jugendtreffen. Herzliche Begegnungen gab es u.a. mit dem Patriarchen der Assyrischen Kirche des Ostens, Mar Awa III. Die Delegation, die vom Vorsitzenden der Salzburger PRO ORIENTE-Sektion, Prof. Dietmar Winkler, geleitet wurde, traf aber auch mit dem chaldäischen Patriarchen Kardinal Louis Raphael Sako zusammen, der sich derzeit massiven politischen Anfeindungen im Irak ausgesetzt sieht.
Der PRO ORIENTE-Delegation gehörten der Salzburger Ökumene-Experte Prof. Dietmar Winkler, die Theologin und frühere Generalsekretärin des Nahost-Kirchenrats ("Middle East Council of Churches"/MECC), Prof. Souraya Bechealany, und der maronitische Priester Rouphael Zgheib, Direktor der Päpstlichen Missionsgesellschaften im Libanon, an.
Am Samstag, 5. August, nahm die Delegation an der Inauguration der neuen assyrischen Patriarchats-Kathedrale in Ankawa bei Erbil teil. An dem Festakt nahm auch der Präsident der Autonomen Region Kurdistan, Nechirvan Barzani, teil. Katholikos-Patriarch Mar Awa III. dankte dem Präsidenten für die Unterstützung bei der Errichtung des Patriarchatssitzes in Ankawa. Er verwies auf die apostolischen Ursprünge der Assyrischen Kirche des Ostens in Mesopotamien, dem heutigen Irak, und auf die Gründungsapostel Thomas, Addai und Mari, deren Namen die Kathedrale nunmehr trägt. In der neuen Kathedrale befindet sich u.a. in einem Schrein eine Reliquie des Apostels Thomas, die Papst Franziskus Mar Awa bei dessen Besuch in Rom am 19. November 2022 für die neue Kathedrale überreicht hatte.
In seiner Grußadresse hob Präsident Barzani die Bedeutung der Entscheidung des Vor-Vorgängers von Mar Awa – Mar Dinkha IV. – hervor, den assyrischen Patriarchensitz wieder in den Irak und nach Ankawa/Erbil zu verlegen. Barzani betonte den multiethnischen und multireligiösen Reichtum Kurdistans. Kurdistan sei ein sicheres Land für die Christen, so der Präsident. Ankawa sei beispielsweise eine der größten christlichen Städte des Nahen Ostens.
Der kurdische Präsident verwies auch auf die Moschee gegenüber dem Patriarchatssitz. Moschee und Kirche sollten Zeichen der Koexistenz, des Friedens und des Zusammenlebens sein.
Enge Beziehungen zu PRO ORIENTE
Zu den Feierlichkeiten war der assyrische Episkopat aus aller Welt angereist. Zusätzlich konnten die Verantwortlichen aber auch zahlreiche Bischöfe der Geschwisterkirchen begrüßen, so etwa den chaldäischen Erzbischof von Mossul, Michael Najeeb Moussa, den syrisch-katholischen Erzbischof von Erbil, Nathanael Nizar Wadih Semaan, den römisch-katholischen Erzbischof von Bagdad, Jean Sleiman, sowie den syrisch-orthodoxen Erzbischof von Mossul und Kurdistan, Mor Nicodemus Daoud Sharaf. Neben der PRO ORIENTE-Delegation war auch eine Delegation der Gemeinschaft Sant' Egidio nach Erbil gereist.
Am Sonntag, 6. August, fand die Konsekration der Kathedrale statt. Mar Awa bedankte sich in seiner Predigt ausdrücklich bei PRO ORIENTE und Sant' Egidio für die Anwesenheit der Delegationen und die Mitfeier des Gottesdienstes. Beim offiziellen Empfang im Anschluss an die Weihe hob Prof. Winkler in seiner Rede die große Bedeutung der Assyrischen Kirche des Ostens für die gesamte Christenheit hervor. Er unterstrich ihr reiches spirituellen Erbes.
Winkler erinnerte auch an die engen Verbindungen von PRO ORIENTE zur Assyrischen Kirche. So ist Patriarch Mar Awa III. der Stiftung seit vielen Jahren eng verbunden. Er war als Bischof von Kalifornien seit 2008 Mitglied der PRO ORIENTE-Kommission "Forum Syriacum", die Prof. Winkler leitet. Dabei handelt es sich um eine weltweit einzigartigen Plattform für den ökumenischen Dialog aller Kirchen der syro-aramäischen Tradition.
Prof. Winkler überbrachte auch die Glückwünsche von PRO ORIENTE-Präsident Alfons M. Kloss. Er hoffe und bete, dass die Weihe der neuen Kathedrale ein großer Segen für die Assyrische Kirche und alle ihre Gläubigen sei, so Kloss in seinem Schreiben. Auch der Präsident hob die langjährige Partnerschaft von PRO ORIENTE und Assyrischer Kirche hervor.
Als Geschenk der Stiftung hatte Prof. Winkler einen liturgischen Kelch für die neue Kathedrale mit dabei. Präsident Kloss hielt dazu in seinem Schreiben fest: "Wir werden weiterhin für den Tag beten und arbeiten, an dem wir als Schwestern und Brüder in Christus alle am Tisch des Herrn anwesend und vereint sein können."
"Assyrian Martyr Day"
Ein weiterer Programmpunkt des Besuchs der PRO ORIENTE-Delegation im Nordirak war die Teilnahme an den Gedenkfeiern zum "Assyrian Martyr Day", der am 7. August in der nordirakischen Stadt Simele begangen wurde. Nicht nur die assyrischen Christinnen und Christen aus der Region waren dazu gekommen, sondern auch zahlreiche Angehörige der Assyrischen Kirche aus aller Welt.
Der Gedenktag erinnert an die Verbrechen an der christlichen Bevölkerung im Jahr 1933 im Nordirak. Vor 90 Jahren hatten irakische Truppen einen angeblich geplanten "Aufstand" der assyrischen Christen mit brutaler Härte niedergeschlagen. Bis zu 9.000 Christinnen und Christen kamen damals ums Leben. Der Großteil gehörte der Assyrischen Kirche des Ostens an, es gab aber auch Opfer, die zur Chaldäischen Kirche oder zu den anderen im Irak befindlichen Kirchen gehörten. – Das Massaker von Simele inspirierte den polnisch-jüdischen Juristen Ralph Lemkin (1900-1959) zur Entwicklung des Begriffs "Völkermord" (Genozid).
Begegnung mit Patriarch Sako
Die PRO ORIENTE-Delegation traf schließlich auch mit dem chaldäischen Patriarchen Kardinal Louis Raphael Sako zusammen und versicherte ihm ihre Solidarität in den aktuell so schwierigen Zeiten. Der Patriarch hat vor wenigen Wochen seinen Amtssitz in Bagdad verlassen und führt seine Amtsgeschäfte seither von Erbil bzw. Ankawa aus. Ausschlaggebend dafür war, dass der irakische Präsident Abdul Latif Rashid dem Patriarchen weitreichende Befugnisse zur Verwaltung chaldäischer Stiftungsangelegenheiten entzogen hatte und sich damit im Streit zwischen Sako und der "Babylon-Bewegung" aufseiten der "Babylon-Bewegung" geschlagen hatte.
Deren Gründer, Rayan Al-Kildani, wird von verschiedenen Seiten vorgeworfen, dass er in Diensten des Iran steht und christliches Eigentum in großem Stil an iranische Mittelsmänner verkauft. Auch der assyrische Patriarch Mar Awa III. hat dieser Tage in einer offiziellen Erklärung davor gewarnt, dass im Irak immer mehr christliches Eigentum verloren geht. – Erbil sei derzeit ein sicherer Rückzugsort für den chaldäischen Patriarchen, hielt Prof. Winkler gegenüber dem PRO ORIENTE-Informationsdienst fest.
Zurück zu den Wurzeln
Die Weihe der assyrischen Patriarchatskirche und die Wiedererrichtung des Patriarchatssitzes in dessen Ursprungsland sei für die weltweit verstreute Assyrische Kirche von herausragender Bedeutung, erläuterte Prof. Winkler. Im 20. Jahrhundert, insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg, hätten die Assyrer Vertreibung und Verfolgung erlitten. Etwa ein Drittel der assyrischen Christinnen und Christen sei ums Leben gekommen. Ein Katholikos wurde 1918 ermordet, sein Nachfolger starb 1920 in einem Flüchtlingslager. Nach Ende des britischen Mandats im Irak (1933) kam es, wie bereits erwähnt, zu weiteren Massakern, die assyrischen Gläubigen wurden weiter zerstreuten. Der assyrische Katholikos wurde verbannt, sein Sitz zunächst nach San Francisco, später nach Chicago verlegt.
"Mit der neuen Patriarchatskathedrale hat die assyrische Christenheit wieder einen Halte- und Bezugspunkt im Herkunftsland", so Winkler. Dies sei auch ein deutliches Zeichen der kurdischen Regionalregierung, die der Welt ihren Einsatz für einen friedlichen und toleranten Staat bezeugen wolle.
Die Tradition der Assyrischen Kirche des Ostens führt ihren Ursprung auf den Apostel Thomas und auf Addai (aus dem Kreis der Siebzig) und dessen Schüler Aghai und Mari zurück. Während Aghai bis an die Grenzen von Indien und China ging, gilt Mari als jener, der den Patriarchenstuhl errichtete und somit als erster Katholikos-Patriarch. Die Kirche des Ostens war die Kirche des alten Perserreiches in Mesopotamien und erreichte im Mittelalter über die Seidenstraße die größte geografische Ausdehnung aller christlichen Kirchen. Heute zählen zu der eigenständigen Kirche weltweit nur mehr rund 400.000 Gläubige in Nahost (Iran, Irak, Syrien, Libanon), aber auch in Europa, Nordamerika, Australien und Indien. Die mit Rom in Kircheneinheit stehende Chaldäisch-katholische Kirche ist im 16. Jahrhundert aus der Kirche des Ostens hervorgegangen.