Prager Theologe Halik: Kirche muss Lähmung überwinden und neue Leidenschaft entwickeln
Linzer PRO ORIENTE-Sektion lud tschechischen Kirchenreformer nach Oberösterreich ein
Linz, 09.03.23 (poi) Der Prager Theologe und Soziologe Tomáš Halík attestiert dem Christentum einen "nachmittäglichen" Zustand, der den Eindruck erwecken kann, dass es mit der christlichen Religion zu Ende gehe. Die Kirchen befänden sich in einem Zustand der Lähmung, welcher der Gesellschaft eine prägende Kraft entzieht, warnte Halik am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Linz. Halik hält sich auf Einladung der Linzer PRO ORIENTE-Sektion in Oberösterreich auf, wo er zwei Vorträge halten wird. Die Kirche müsse eine neue Leidenschaft in sich entfachen, um ihrer Bestimmung für die Welt gerecht zu werden, so die Mahnung des Theologen.
Die Kirche erlebe derzeit den dramatischen Höhepunkt einer ihrer langjährigen Krisen und stehe vor der Notwendigkeit einer weiteren tiefgreifenden Reform. Der christliche Glaube oder vielmehr seine äußere Form, die Kirche und ihre Ausdrucksformen, hätten an Glaubwürdigkeit, Klarheit und Fruchtbarkeit verloren. Der Verlust der Glaubwürdigkeit der Kirche habe in Kombination mit der Enthüllung einer schockierenden Zahl von Fällen sexuellen, psychologischen und geistlichen Missbrauchs von Macht und Autorität seinen Höhepunkt erreicht.
Hoffnungen setzte Halik in den weltweiten synodalen Prozess. Dieser sei ein Versuch, eine bürokratische Institution in ein dynamisches Netzwerk gegenseitiger Kommunikation, Partizipation, Mitentscheidung und Mitverantwortung zu verwandeln. Der synodale Prozess könne dazu beitragen, die globalen Krisen der heutigen Welt zu überwinden – aber nur dann, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt sind. Die synodale Reform dürfe sich nicht auf die Reform der äußeren institutionellen Strukturen der Kirche beschränken, sondern müsse eine tiefere Dimension des Glaubens, die Spiritualität, wiederbeleben, so Halik.
Ein weithin ökumenisch offenes Christentum könne dazu beitragen, „den Prozess der Globalisierung in einen Prozess der Kommunikation, des Mitteilens und der Solidarität zu verwandeln“. Damit aber die Entwicklung der Universalität und Katholizität der Kirche nicht zu einer Schwächung der christlichen Identität führe, müsse die Universalität Christi bzw. die universale Gegenwart Christi in der Welt neu überdacht werden, so Halik.
Der Linzer PRO ORIENTE-Vorsitzende Josef Pühringer bezeichnete Halik als „Munter- und Mutmacher“. Er spiele im kirchlichen Synodalen Prozess eine wichtige Rolle, weil er für die notwendigen Reformen und zugleich für eine hohe theologische und soziologische Kompetenz stehe. Zu Recht warne Halík davor, allein bei Struktur- und Organisationsfragen in der Kirche stecken zu bleiben, so Pühringer. Strukturfragen seien wichtig, doch diese allein würden sicherlich nicht den gewünschten Erfolg bringen, so Pühringer weiter. Ohne Glaubenserneuerung und -vertiefung nütze eine Strukturreform im Letzten zu wenig.
PRO ORIENTE-Linz habe Prof. Halík nach Oberösterreich eingeladen, „weil er zu jenen Theologen zählt, die die notwendige Kirchenreform nur in einer offenen Ökumene in einer sinnvollen Weise verwirklicht sehen wollen“, so Pühringer. Ausschließlich durch gemeinsames Gehen und Wachsen, so die gemeinsame Überzeugung von Tomáš Halík und PRO ORIENTE, werde die Kirche wieder zeitgemäß das Evangelium zu den Menschen bringen und auf die Bedürfnisse und Anliegen der Gesellschaft reagieren können.