Pro Oriente
News / Maronitische Theologin Bechealany plädiert für Umdenken in der Ökumene

Maronitische Theologin Bechealany plädiert für Umdenken in der Ökumene

Frühere Generalsekretärin des Nahost-Kirchenrates hält in PRO ORIENTE-Blogbeitrag gemeinsame Eucharistiefeier schon auf dem Weg zur vollen Kircheneinheit für möglich - Orthodoxer Theologe Kattan mahnt Fortschritte im Dialog zwischen orthodoxen Kirchen und katholischen Ostkirchen ein

POI 241108

Wien, 08.11.24 (poi) Die libanesische Theologin Prof. Souraya Bechealany hat zu einem Umdenken in der Ökumene aufgerufen. In einem aktuellen PRO ORIENTE-Blogbeitrag stellt sie den Grundsatz, dass die gemeinsame Eucharistiefeier Endpunkt der vollständigen Gemeinschaft unter den Kirchen sein soll, zur Diskussion. Denn die Eucharistie sei nicht nur der Höhepunkt und das Zeichen der vollen Gemeinschaft, "sondern vor allem der Weg zur Gemeinschaft und die Nahrung für sie", so Bechealany.

Die maronitische Theologin lehrt an der St.-Josef-Universität in Beirut und war früher Generalsekretärin des Nahost-Kirchenrates. Wörtlich schreibt sie: "Wenn wir uns über das Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit, über die Heilige Schrift, über das Glaubensbekenntnis, über das Sakrament der Kirche und über die Sakramente einig sind, halte ich es für sehr angebracht, auf dem Weg zur Einheit gemeinsam die Eucharistie zu feiern, inmitten von Wunden und Schmerzen und trotz dieser, denn die Eucharistie allein kann uns heilen, heiligen und vereinen."

Bechealany entfaltet ihre Gedanken anhand des Dokuments "Das Mysterium der Kirche und der Eucharistie im Licht des Mysteriums der Heiligen Dreifaltigkeit", das 1982 in München von der offiziellen Katholisch-Orthodoxen Dialogkommission beschlossen wurde. Das Münchner Dokument zeige "die tiefe Übereinstimmung der beiden Kirchen in Bezug auf die Grundfesten des christlichen Glaubens und das Konzept des Sakramentalismus" und habe den Weg für die folgenden Konsensdokumente geebnet, so die Theologin.

Im zweiten Abschnitt betone das Dokument, "dass die Eucharistie die Wunden der Spaltung heilt und sie zur Einheit überwindet", hebt Bechealany hervor. Die Eucharistie setze Reue und Bekenntnis voraus und vergebe sowie heile zugleich von den Sünden, "weil sie das Sakrament der göttlichen Liebe ist, die durch den Sohn und im Heiligen Geist wirkt".

Versöhnung zwischen Orthodoxen und "Unierten"

In einem zweiten Blog-Beitrag geht der orthodoxe libanesisch-deutsche Theologe Prof. Assaad Elias Kattan von der Universität Münster auf ein weiteres Konsensdokument der Dialogkommission ein: jenes von Balamand aus dem Jahr 1993. Dieses beschäftigt sich mit den katholischen Ostkirchen bzw. dem Uniatismus ("Der Uniatismus: Eine Methode der Vergangenheit und die gegenwärtige Suche nach voller Gemeinschaft").

In dem Dokument wurde festgehalten, dass der Uniatismus heute weder als Methode noch als Modell der Einheit akzeptabel sei, erinnert Kattan, nicht zuletzt deshalb, weil die katholische und die orthodoxe Kirche gelernt hätten, sich als "Schwesterkirchen" zu verstehen und anzuerkennen. Zugleich hätten die katholischen Ostkirchen aber das Recht zu existieren und gemäß den "geistlichen Bedürfnissen ihrer Gläubigen" zu handeln. Die Balamand-Erklärung enthalte damit bis heute gültige theologische Ansatzpunkte für den Prozess der Heilung der Erinnerungen, so Kattan.

Das Dokument rufe zur gemeinsamen Aufarbeitung der Geschichte auf sowie auch zur Findung einer neuen Identität der katholischen Ostkirchen. Es weise ihnen eine Rolle dabei zu, den Weg zur "vollen Gemeinschaft zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche" zu ebnen. Die Erklärung fordere die Gläubigen der katholischen Ostkirchen auf, die Aufgabe der Versöhnung in ihre eigenen Hände zu nehmen.

Gläubige aus den orthodoxen Kirchen und den katholischen Ostkirchen müssten lernen, konstruktiv mit den Wunden der Geschichte umzugehen, um Vorurteile auszuräumen und unausgesprochene Emotionen wie Wut, Groll und ein Gefühl der Kränkung zu überwinden, so Kattan. Daher sei die Erarbeitung einer gemeinsamen ökumenischen Geschichtserzählung für die Heilung verwundeter Erinnerungen absolut unerlässlich.

Kattan zitiert wörtlich aus der Erklärung: "Was auch immer die Vergangenheit gewesen sein mag, sie muss der Barmherzigkeit Gottes überlassen werden, und alle Energien der Kirchen sollten darauf gerichtet sein, dass die Gegenwart und die Zukunft besser dem Willen Christi für die Seinen entsprechen".

Der orthodoxe Theologe macht schließlich darauf aufmerksam, dass die Erklärung von Balamand nicht nur die theologischen Grundlagen für den Prozess der Versöhnung und Heilung der Erinnerungen legt, sondern auch praktische Vorschläge macht; etwa die Bereitstellung von Gottesdiensträumen für die Schwesterkirche oder vertrauensvolle Begegnungsräume für katholische und orthodoxe Bischöfe.

Kattan bedauert, dass die Erklärung von Balamand nicht von allen Kirchen gleichermaßen zustimmend aufgegriffen wurde und dass die Inhalte noch nicht umfassend umgesetzt wurden. "Es besteht kein Zweifel, dass die Balamand-Erklärung aktualisiert werden muss. Als Fahrplan für einen Versöhnungsprozess, der zur Vergebung und zur Heilung verletzter Erinnerungen auf der Grundlage des Evangeliums führt, hat sie jedoch nichts von ihrer Bedeutung verloren", hält er abschließend fest.

Auch Prof. Bechealany geht in ihrem Blog kurz auf das Balamand-Dokument ein. Leider sei dieses Dokument bis heute von den Kirchen nicht ausreichend akzeptiert worden, resümiert Bechealany ähnlich wie Kattan. Sie moniert vor allem die fehlende Umsetzung des ekklesiologischen Grundsatzes von den "zwei Schwesterkirchen". Bechealany spricht deshalb von der Pflicht der Theologinnen und Theologen, "dieses prophetische Dokument als Ansatz für unseren kirchlichen und theologischen Dialog zu nehmen und daran zu arbeiten, seinen Inhalt zu aktivieren, da es ein theologisches Modell für die Heilung der Erinnerungen ist".

PRO ORIENTE-Blog

Die Stiftung PRO ORIENTE veröffentlicht in regelmäßigen Abständen Blog-Einträge, in denen Teilnehmende der jüngsten PRO ORIENTE-Konferenz in Nikosia /Zypern (10. bis 13. Oktober) zu Wort kommen und die zentralen Anliegen ihrer Vorträge und Beiträge bei der Tagung auf den Punkt bringen. Der Workshop fand im Rahmen des PRO ORIENTE-Projektes "Healing of Wounded Memories" (Verletzte Erinnerungen heilen) statt. Insgesamt nahmen 32 Expertinnen und Experten teil, davon 22 aus den Ländern des Nahen Ostens (Ägypten, Irak, Jordanien, Libanon, Palästina und Syrien). Die Teilnehmenden gehörten zu elf verschiedenen Kirchen des Nahen Osten aus vier Kirchenfamilien (orthodox, orientalisch-orthodox, katholisch und evangelisch). Dazu nahmen Vertreterinnen und Vertreter aus den anderen zwei Regionen des Projektes (Südosteuropa und Osteuropa) sowie Mitglieder der PRO ORIENTE-Kommission für katholisch-orthodoxen Dialog teil, die das Projekt initiiert hatte.

Das PRO ORIENTE-Projekt "Healing of Wounded Memories" hat im November 2023 mit einer internationalen Konferenz in Wien seinen Anfang genommen. Rund 50 Teilnehmende aus Europa, den USA und dem Nahen Osten hatten dabei Aspekte einer Theologie der Versöhnung reflektiert, zugleich aber auch konkrete geopolitische Konfliktfelder in der Ukraine, in Südosteuropa und im Nahen Osten in den Blick genommen. Die Themen der Auftaktkonferenz wurden und werden in regionalen Workshops in diesen Regionen vertieft.

Zum Blog: https://www.pro-oriente.at/blog/healing-of-wounded-memories