Pro Oriente
News / Kroatischer Jesuit: Kirchen beim Einsatz für Geflüchtete federführend

Kroatischer Jesuit: Kirchen beim Einsatz für Geflüchtete federführend

Kroatischer Regionaldirektor des "Jesuiten-Flüchtlingsdienst" (JRS) in PRO ORIENTE-Blog über Herausforderungen der Migrationskrise für die Kirchen in Südosteuropa

POI 240822

Wien/Zagreb, 22.08.24 (poi) Der gemeinsame Einsatz für Migranten und Geflüchtete kann die Kirchen einander näher bringen, zur Erneuerung christlicher Werte in Kirche und Gesellschaft beitragen und damit zugleich auch die gesellschaftliche Relevanz der Kirche wieder stärken. Das betont der kroatische Jesuit Fr. Stanko Perica, Regionaldirektor des "Jesuiten-Flüchtlingsdienst" (JRS) in einem aktuellen Beitrag des PRO ORIENTE-Blogs.

Die Art und Weise, wie die EU mit Migranten und Asylwerbern umgeht, lasse befürchten, dass auf die Länder Südosteuropas noch größere Herausforderungen zukommen, als es ohnehin schon seit 2015 der Fall sei, so Perica: "Das wird eine große Herausforderung für die Kirchen in unserer Region sein, aber auch eine Chance für die Erneuerung christlicher Werte." Die Kirchen hätten durch die Säkularisierung einen bedeutenden Teil ihres gesellschaftlichen Einflusses verloren, die Migrationskrise könnte zu einer Rückbesinnung auf die grundlegenden Werte von Geschwisterlichkeit und Solidarität führen, zeigt sich der Jesuit optimistisch.

In dieser Richtung bemühe sich gerade auch der "Jesuiten-Flüchtlingsdienst" um Vorbildwirkung: "Wir helfen nicht nur Migranten, sondern versuchen auch, Netzwerke der Solidarität zu bilden." Der jugoslawische Nobelpreisträger Ivo Andric (1892-1975) habe in seinem Roman "Die Brücke an der Drina" geschrieben: "Nichts bringt die Menschen einander näher als ein gemeinsames Unglück, das glücklich überwunden wurde." Das könne er bestätigen, so Perica unter Verweis auf gemeinsame Hilfsprojekte mit der orthodoxen Kirche für ukrainische Flüchtlinge in Zagreb oder gemeinsame katholisch-orthodoxe Hilfsaktionen in Bosnien rund um das Flüchtlingslager Lipa.

Schwierigkeiten gebe es freilich immer genug. Perica erinnert in seinem Blog-Beitrag an P. Stjepan Kusan, einen kroatischen Jesuiten, der 1993 den JRS in der Region gründete. Mitten im Krieg. Kusan habe nicht gezögert, Serben und Muslimen zu helfen, wenn es nötig war. In den Augen vieler habe er deshalb als "jugo-nostalgisch und feindfreundlich" gegolten. Das habe ihn wütend und zugleich verzweifelt gemacht.

Perica berichtet über ein Ereignis, das die gesamte Tragweite verdeutlicht: Eines Tages sei in einer kroatischen Wochenzeitung ein Artikel mit der Überschrift "Jesuiten säubern serbisches Chaos" erschienen. In den nächsten Tagen hätten viele verärgerte Menschen angerufen und gegen die Aktion des JRS protestiert. Doch was war geschehen? - Die Jesuiten hatten eine Gruppe von fünf serbischen und fünf kroatischen jungen Männern organisiert, die ein serbisch-orthodoxes Kloster in der Nähe von Knin aufräumen und die Bibliothek in Ordnung bringen sollten. Der Jesuitenprovinzial habe damals P. Kusan sogar vor aufgebrachten Jesuitenkollegen verteidigen müssen.

Von der Not bewegen lassen

Es gebe grundsätzlich zwei grundsätzliche Möglichkeiten, mit Leid und Not von Migranten und anderen Menschen in Not umzugehen, so Fr. Perica: "Sie zu leugnen und zu ignorieren oder sich von ihr bewegen zu lassen." Beides habe es in Südosteuropa auch gegeben. "Wenn wir uns aber von der Flüchtlingssituation bewegen lassen", so der Jesuit, "dann merken wir unweigerlich, dass wir an der Schaffung einer neuen Welt arbeiten müssen, einer Welt, in der die Menschen nicht nach einer Zuflucht suchen müssen, aber wenn sie es tun, dann werden sie willkommen geheißen und die Gastgeber teilen ihre Ressourcen mit ihnen. Mit anderen Worten: Wir brauchen eine Welt der Geschwisterlichkeit."

Papst Franziskus unterstreiche stets, dass es ohne "Offenheit gegenüber dem Vater" keine letztlich stabilen Gründe für einen Appell an die Brüderlichkeit gibt. Perica: "Nur wenn wir uns bewusst sind, dass wir alle Kinder mit gleicher Würde sind, können wir in Frieden miteinander leben." Das sei letztlich eine im Glauben verankerte Begründung und deshalb seien Glaube und Theologie am besten geeignet, eine angemessene und sinnvolle Antwort auf die Flüchtlingssituation zu geben.

PRO ORIENTE-Konferenz in Trebinje

Die Stiftung PRO ORIENTE veröffentlicht in regelmäßigen Abständen Blog-Einträge, in denen Teilnehmende der jüngsten PRO ORIENTE-Konferenz in Trebinje (Bosnien-Herzegowina) zu Wort kommen und die zentralen Anliegen ihrer Vorträge und Beiträge bei der Tagung auf den Punkt bringen. Die Tagung vom 29. Mai bis 1. Juni stand unter dem Motto "Die Kluft überwinden - Prozesse der Heilung verwundeter Erinnerungen im früheren Jugoslawien". Sie war Teil des PRO ORIENTE-Projekts "Healing of Wounded Memories" (Verletzte Erinnerungen heilen).

Das PRO ORIENTE-Projekt "Healing of Wounded Memories" hat im November 2023 mit einer internationalen Konferenz in Wien seinen Anfang genommen. Rund 50 Teilnehmende aus Europa, den USA und dem Nahen Osten hatten dabei Aspekte einer Theologie der Versöhnung reflektiert, zugleich aber auch konkrete geopolitische Konfliktfelder in der Ukraine, in Südosteuropa und im Nahen Osten in den Blick genommen. Die Themen der Auftaktkonferenz werden nun 2024 und 2025 in regionalen Workshops in diesen Regionen vertieft. Der nächste Workshop ist für Herbst 2024 im Nahen Osten geplant.