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Kirchenhistoriker mit neuem Impuls für katholisch-orthodoxen Dialog

Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Kirchenhistorikerinnen und Kirchenhistoriker Österreichs, Sohn-Kronthaler: 1054 kein Schisma zwischen katholischer und orthodoxer Kirche - Vorurteile kritisch hinterfragen und historisch falsche Darstellungen korrigieren

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Die bei der jüngsten kirchenhistorischen Tagung in Wien zu den Ereignissen von 1054 präsentierten Forschungsergebnisse hätten eindeutig belegt, dass es in diesem Jahr zu keinem katholisch-orthodoxen Schisma gekommen ist. Das hat die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Kirchenhistorikerinnen und Kirchenhistoriker Österreichs, Prof. Michaela Sohn-Kronthaler, zum Abschluss des Symposions betont. Diese Feststellungen haben "existenzielle Konsequenzen für den aktuellen Stand der Beziehungen unserer Kirchen", so Sohn-Kronthaler. Sie plädierte dafür, bestehende Vorurteile kritisch zu hinterfragen, übertriebene, polemische und historisch falsche Darstellungen in der Historiografie zu korrigieren, ebenso in der theologischen Ausbildung, in Lehrbüchern für Schule und Universität. Noch offene und kontrovers diskutierte theologische und kirchliche Fragen seien im ökumenischen Dialog zu klären.

1054 war Kardinal Humbert von Silva Candida im Auftrag von Papst Leo IX. nach Konstantinopel gereist, um ein militärisches Bündnis gegen die Normannen zu schließen. Während dies misslang, kam es durch unglückliche Umstände dazu, dass sich der Kardinal und der Patriarch gegenseitig exkommunizierten. Das wurde in der Kirchengeschichte bisher oftmals als offizielles Datum der katholisch-orthodoxen Kirchenspaltung aufgefasst.

Der Grazer orthodoxe Theologe und stellvertretende Vorsitzende der Grazer PRO ORIENTE-Sektion, Prof. Grigorios Larentzakis, warf in seinen Ausführungen bei der Tagung einen kritischen Blick auf die historischen Vorgänge von 1054. Zum einen habe Kardinal Humbert von Silva Candida am 16. Juli 1054, drei Monate nach dem Tod seines päpstlichen Auftraggebers, wohl kein Recht und schon gar keinen Auftrag mehr gehabt, die Bannbulle auf dem Altar der Hagia Sophia niederzulegen. "Diese Exkommunikation war also ungültig", so Larentzakis. Und zum anderen habe sich die Bannbulle nur gegen den Patriarchen Michael Kerullarios und einige von dessen engsten Mitarbeitern, nicht aber gegen den byzantinischen Kaiser oder die ganze östliche Kirche gerichtet. Eine dritte Bemerkung: Auch der Patriarch exkommunizierte nicht die ganze abendländische Kirche, sondern nur Kardinal Humbert und seine Anhänger.

Prof. Larentzakis verwies zudem auf Joseph Ratzinger, den späteren Papst Benedikt XVI., der in einer Arbeit dargelegt hatte, dass Kardinal Humbert in der gleichen Bulle, mit der er den Patriarchen "exkommunizierte", zugleich Kaiser und Bürger von Konstantinopel als sehr christlich und rechtgläubig bezeichnete. Mit Sicherheit könne also festgehalten werden, dass die Exkommunikation nicht der Gesamtkirche des Ostens gegolten habe.

Auch die Replik von Patriarch Kerullarios fiel ähnlich aus. Am 24. Juli 1054 exkommunizierte eine Synode unter seinem Vorsitz Kardinal Humbert und alle, die mit dessen Vorgehen einverstanden waren. Larentzakis: "Es blieb bei dieser persönlichen Verurteilung, weder der Papst noch die westliche Kirche als ganze wurden verurteilt. Es gab auch keine Unterbrechung der Beziehungen mit der westlichen Kirche." Weder im Osten noch im Westen sei damals die Überzeugung entstanden, dass durch die besagten Exkommunikationen ein endgültiges großes Schisma zwischen Ost- und Westkirche entstanden sei. Eine verfestigte Entfremdung macht Prof. Larentzakis erst für das 16. Jahrhundert aus.

Larentzakis setzt sich seit vielen Jahren für eine Neubewertung der Ereignisse und damit auch der Folgen von 1054 ein. Patriarch Bartholomaios hat das Wirken des orthodoxen Theologen in seinem Grußwort zur Tagung ausdrücklich gewürdigt und ihn bekräftigt, darin fortzufahren.

Keine Hinweise auf ein Schisma

Der Mittelalter-Experte Axel Bayer, Leiter des Stadtarchivs Wülfrath in Nordrhein-Westfalen, beleuchtete auf der Tagung die Rezeption der Geschehnisse von 1054 im Mittelalter, um festzustellen, dass diese anfangs so gut wie keine Bedeutung hatten. Es kursierten sowohl von lateinischer wie griechischer Seite unterschiedliche Daten in Dokumenten bis ins 15. Jahrhundert, an denen man im Nachhinein die Entfremdung bzw. auch ein Schisma festzumachen suchte. 1054 sei nicht dabei gewesen.

Der katholische Kirchenhistoriker und Patrologe Christian Lange von der Universität Erlangen-Nürnberg untersuchte die Begrifflichkeit des mit 1054 verbundenen so genannten "Morgenländischen Schismas". Er stellte u.a. fest, dass es sich 1054 allein um einen Konflikt zwischen Rom und Konstantinopel gehandelt habe und nicht zwischen Rom und dem gesamten christlichen Osten. Im selben Jahr 1054 habe etwa der orthodoxe Patriarch von Antiochien in einem Schreiben die Gemeinschaft mit Rom bekräftigt.

Von Schismen könne man laut Lange erst ab ca. 1100 reden, als im Zuge der Kreuzzüge in Antiochien (1100), Jerusalem (1101) und Konstantinopel (1204) lateinische Patriarchen auf griechischen Patriarchatssitzen eingesetzt wurden. In diesem Zusammenhang sei es deshalb auch umso bedeutsamer, dass Papst Paul VI. 1964 die Titularpatriarchate von Konstantinopel und Antiochien sistierte und die Parallelstrukturen damit aufhob, wie Lange sagte - ein bedeutsames ökumenisches Zeichen.

Protestantische Lücken

Die evangelische Theologin Jennifer Wasmuth räumte ein, dass man den Ereignissen von 1054 in der evangelischen Kirche nur wenig Beachtung habe zukommen lassen. Man fühlte sich vom evangelischen Selbstverständnis her weder der Ost- noch der Westkirche zugehörig, so Wasmuth. Sie wolle zugleich aber auch die ökumenische Bedeutung der Tilgung der Exkommunikationen von 1965 hervorheben.

Mit Blick auf den Reformator Martin Luther hielt Wasmuth fest, dass Papst Leo X. im Jahr 1521 die Bulle "Decret Romanum Pontificem" erlassen habe, mit der Martin Luther von der katholischen Kirche exkommuniziert wurde. Die so genannte "Bannandrohungsbulle" hatte der Reformator in einem symbolträchtigen Akt verbrannt. Wenn 1965 zwischen orthodoxer und katholischer Kirche eine Tilgung der gegenseitigen Exkommunikationen möglich gewesen sei, dann solle dies doch auch im Blick auf Luther möglich sein. Wasmuth ist Lehrstuhlinhaberin für "Ökumenische Theologie unter besonderer Berücksichtigung des Orthodoxen Christentums und seiner globalen Wirkung in Geschichte und Gegenwart" an der Universität Göttingen.

Prof. Thomas Németh, Leiter des Instituts für Historische Theologie an der Universität Wien, sprach aus ukrainischer griechisch-katholischer Perspektive zum Thema "Fehlende Communio und Kirchentrennung". Er zeigte die historischen und gegenwärtigen Beziehungen der Ukrainischen Griechisch-katholischen Kirche (UGKK) zum Ökumenischen Patriarchat sowie das beachtliche ökumenische Engagement dieser Kirche auf. Nemeth plädierte dafür, katholische Ostkirchen stärker in ökumenische Dialoge einzubeziehen.

Ökumenische Verdienste Kardinal Königs

Der Dekan der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Salzburg, Prof. Dietmar Winkler, präsentierte neue Forschungsergebnisse aus dem Wiener Kardinal-König-Archiv. Diese würden die bedeutende Rolle Königs bei der katholisch-orthodoxen Aussöhnung noch unterstreichen. Kardinal König hatte - anders als in der Literatur gewöhnlich dargestellt - nicht auf Ersuchen des Papstes, sondern aus Eigeninitiative schon im November 1961 den Ökumenischen Patriarchen Athenagoras I. in Istanbul besucht. "Ziel Kardinal Königs war es offensichtlich, einen Weg zur Überwindung der Kirchentrennung zwischen Ost und West zu lancieren, und dies Jahre vor den offiziellen Versöhnungsgesten zwischen Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras I. in den Jahren 1964 und 1965", so Winkler.

Seit 1961 waren der Wiener Erzbischof und der Patriarch freundschaftlich verbunden. Daran änderte sich auch nichts, als 1962 und 1967 zwei geplante Österreich-Besuche des Patriarchen wegen politischer Schwierigkeiten mit der Türkei scheiterten.

Winklers Fazit: "Visionäre Kirchenoberhäupter wie Kardinal König waren und sind fähig, sich auf kurzem Wege und über Konfessionsgrenzen hinweg miteinander auszutauschen." König habe um den Wert der informellen Beziehungen und der Bedeutung der Freundschaften unter den Kirchenoberhäuptern gewusst. "Er war ein begnadeter Netzwerker im Hintergrund, ohne öffentliche Profilierungssucht, jedoch mit der ehrlichen und herzlichen Absicht, einen ökumenischen Beitrag für die Weltkirche zu leisten." Aufgrund seiner wissenschaftlichen und theologischen Kompetenz wie auch seiner gewachsenen Stellung im Weltepiskopat, "übernahm er jene notwendige Eigenverantwortung, die man von Bischöfen erwarten darf. Nicht alles war in Rom nachzufragen", so Winkler. Nachsatz: "Das sollten wir uns auch heute zum Vorbild nehmen."

Das Symposion in Wien (16./17. Jänner) wurde von der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Kirchenhistorikerinnen und Kirchenhistoriker Österreichs in Kooperation mit dem Institut für Historische Theologie an der Universität Wien und der Stiftung PRO ORIENTE veranstaltet. Den Hauptvortrag am ersten Abend hielt Kurienkardinal Kurt Koch, während der Ökumenische Patriarch Bartholomaios ein Grußwort übersandte. Weitere Grußworte kamen von Metropolit Arsenios (Kardamakis), Bischof Manfred Scheuer und PRO ORIENTE-Präsident Clemens Koja.