Jerusalemer Abt: Trotz der Übergriffe gegen Christen Zuversicht bewahren
Abt der Jerusalemer Dormitio-Abtei, Nikodemus Schnabel, bei gemeinsamer Tagung von Initiative Christlicher Orient (ICO) und PRO ORIENTE Salzburg: Christen in Israel in Bedrängnis, trotzdem hat gerade das Christentum das Potenzial zu Versöhnung
Salzburg, 27.09.23 (poi) Die kleine christliche Minderheit im Heiligen Land kann zwar sicher nicht die Funktion eines Brückenbauers zwischen Juden und Muslimen übernehmen, dafür könnte aber ein Christentum, dass intern die Zusammenarbeit und Solidarität stärkt, Vorbildfunktion für die gesamte Region haben. Das hat P. Nikodemus Schnabel, Abt der Jerusalemer Dormitio-Abtei, bei seinem Vortrag im Rahmen der in Kooperation mit der Salzburger PRO ORIENTE-Sektion veranstalteten Jahrestagung der "Initiative Christlicher Orient" (ICO) betont, die am Dienstag im Salzburger Bildungshaus St. Virgil zu Ende ging. Er wolle trotz der schwierigen Situation für die christliche Minderheit vor Ort, die sich mit der neuen israelischen Regierung deutlich verschärft habe, Zuversicht vermitteln, so Abt Nikodemus, der der Stiftung PRO ORIENTE seit vielen Jahren verbunden ist, u.a. auch als Konsultor.
Die christliche Vielfalt im Land sei noch viel stärker ausgeprägt, als man gemeinhin glaube, und das unter verschiedensten Aspekten: So kämen etwa zu den 13 etablierten Kirchen der katholischen, orthodoxen, orientalischen und anglikanischen bzw. lutherischen Traditionen noch zahlreiche weitere Kirchen aus reformatorischen Traditionen und Freikirchen. Die Christinnen und Christen lebten in verschiedenen Regionen Israels sowie vor allem in den sich stark voneinander unterscheidenden Teilen der palästinensischen Gebiete (Westjordanland, Ost-Jerusalem, Gaza-Streifen) auch in ganz unterschiedlichen politischen Kontexten.
Allein die katholische Ordinarienkonferenz des Heiligen Landes (vergleichbar einer Bischofskonferenz) habe neben römisch-katholischen Bischöfen und anderen Ordinarien auch zahlreiche Mitglieder aus den im Land präsenten katholischen Ostkirchen, darunter die Armenisch-katholische, die Melkitische Griechisch-katholische, die Maronitische sowie die Syrisch-katholische Kirche. Gottesdienst gefeiert werde in verschiedenen Riten, diskutiert werde in mehreren Sprachen.
Zu den autochthonen arabischsprachigen Christinnen und Christen, den Ordensleuten aus verschiedenen Teilen der Weltkirche, die sich wie er selbst zu einem Leben im Heiligen Land entschlossen hätten, und zu weiteren Millionen von christlichen Pilgerinnen und Pilgern und Touristinnen und Touristen aus aller Welt zählte der Abt auch noch rund 100.000 katholische Arbeitsmigrantinnen und -migranten und Asylwerbende zu den im Land lebenden Christinnen und Christen.
In dieser Vielfalt und Buntheit des Christentums im Heiligen Land stecke enormes Potenzial, zeigte sich der Abt überzeugt. Die entscheidende Frage sei, ob die Christinnen und Christen Wege fänden vorzuleben und vorzuzeigen, "wie es gelingen kann, Versöhnung zu leben und Mauern zu überwinden" – Mauern, von denen es im Heiligen Land viel zu viele gebe.
Die schwierige Situation im Heiligen Land sei zudem auch der Lackmustest für jede christliche Theologie, die sich vor dem komplexen ökumenischen, interreligiösen und politischen Hintergrund auf ihre Relevanz und Praxistauglichkeit hin bewähren müsse.
100.000 katholische Migranten
Mehrmals im Laufe seines Vortrags kam Abt Nikodemus auf seine frühere Aufgabe als Patriarchalvikar für die rund 100.000 katholischen Arbeitsmigrantinnen und Migranten bzw. Asylwerbenden zu sprechen. Der Großteil dieser Menschen komme von den Philippinen, aus Indien und Sri Lanka. Sie würden in Israel vielfach ausgebeutet und lebten und arbeiteten großenteils unter schwierigsten Bedingungen.
Der tiefe Glaube der Migrantinnen und Migranten bereichere ihn auch persönlich enorm, bekannte der Ordensmann. Ein großes Problem für viele dieser Gläubigen seien die oftmals informellen Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit. Viele Arbeitgeber machten es ihnen schwer, Gottesdienste zu besuchen. Schnabel: "Wenn ich sehe, wie diese Menschen unter widrigsten Bedingungen ihren Glauben leben, dann wird mir bewusst, dass diese Migranten näher an Gott sind als ich." Er habe eine privilegierte Situation, seinen Glauben zu leben. Diese Menschen aber hätten eine Arbeitssituation, wo sie vielleicht alle 14 Tage ein paar Stunden frei hätten. "Und diese wenige Zeit nutzen sie dann, um in die Kirche zu gehen." Als Beispiel nannte der Abt Gottesdienste mit indischen Katholikinnen und Katholiken, die immer dienstags um 23 Uhr in einem Karateklub stattfänden – ein Ort und ein Zeitpunkt, zu dem die Arbeitgeber nicht vermuten würden, dass sie einen Gottesdienst feiern.
Bezüglich der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Migrantinnen und Migranten, die zum Arbeiten in Israel gebraucht, aber gesamtgesellschaftlich meist nicht mehr als geduldet werden, erläuterte der Abt: Eine Migrantin, die in Israel schwanger werde oder ein Kind gebäre, verliere dadurch ihren legalen Aufenthaltstitel. Gleiches gelte für Migrantinnen und Migranten, die im Land heirateten. Man wolle, dass diese Menschen in Israel auf Zeit hart arbeiten, längerfristige Bindungen seien hingegen nicht erwünscht. Unter der aktuellen Regierung werde die Situation für die Migrantinnen und Migranten sich voraussichtlich noch weiter verschlechtern, befürchtete der Ordensmann.
Der Abt plädierte dafür, dass diese Menschen noch viel stärker als bisher als wesentlicher Teil des Christentums im Heiligen Land wahrgenommen und integriert werden. Der Kontakt zu den einheimischen Christinnen und Christen müsse gestärkt werden. "Wenn Sie die Leute sehen, die in Tel Aviv auf dem Flughafen die Toiletten putzen, dann sind das unsere katholischen Geschwister aus Indien. Wir haben die gleiche Taufe. Wir sind eine Familie. Was bedeutet das denn eigentlich?", so die Anfrage des Ordensmannes.
Übergriffe gegen Christen
Abt Nikodemus berichtete auch von den zuletzt deutlich zunehmenden Anfeindungen und Übergriffen gegen Christinnen und Christen in Israel. Zwar habe es antichristliche Ressentiments in kleinen Teilen der Gesellschaft in Israel bis zu einem gewissen Ausmaß auch früher schon gegeben. Das jetzige Ausmaß sei aber neu. "Wurde ich früher in den Straßen von Jerusalem vielleicht einmal in drei Monaten angespuckt, so passiert es heute mehrmals am Tag", so Schnabel. Die Politik der Regierung enthemme die Extremisten. Zugleich sei es ihm auch wichtig zu sagen, dass die Bekundungen von Solidarität mit den bedrängten Christinnen und Christen in zahlreichen Teilen der israelischen Zivilgesellschaft in letzter Zeit stark zugenommen hätten. Hinsichtlich der politischen Situation in Israel insgesamt zeigte sich Abt Nikodemus besorgt, das demokratische System Israels sei aus seiner Sicht ernsthaft in Gefahr.
Scharf wies der Abt Stimmen zurück, wonach im Heiligen Land die Religionen das Problem seien. Gerade Religionsführer, darunter zahlreiche Rabbiner und auch das Oberrabbinat, bemühten sich um Versöhnung und träten gegen die Hetzer auf. Das Problem bestehe vielmehr darin, dass derzeit "die Politik religionisiert wird", so Schnabel.
Die ICO-Tagung am 25. und 26. September in Salzburg stand heuer unter dem Generalthema "Christentum im Heiligen Land - Gegenwart und Zukunft". Grußworte sprachen u.a. der Salzburger Erzabt Korbinian Birnbacher und der stellvertretende Obmann der Salzburger PRO ORIENTE-Sektion, Robert Luckmann.