Experte: Moskau will Einfluss auf Wahl des neuen bulgarischen Patriarchen nehmen
Wiener Ostkirchenexperte Prof. Németh im ORF über die Gründe dafür, dass die Russisch-orthodoxe Kirche die Gemeinschaft mit bestimmten Bischöfen der Bulgarisch-orthodoxen Kirchen abgebrochen hat
Wien, 05.06.24 (poi) Der Synod der Russisch-orthodoxen Kirche (ROK) hat Ende Mai beschlossen, die Gemeinschaft mit bestimmten Bischöfen der Bulgarisch-orthodoxen Kirchen (BOK) abzubrechen. Damit reagierte die ROK auf einen gemeinsamen Gottesdienst von bulgarischen Bischöfen mit ukrainischen Bischöfen der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU), der am 20. Mai in Istanbul unter dem Vorsitz des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., stattfand. Der Wiener Ostkirchenexperte Prof. Thomas Németh sieht in der Vorgangsweise Moskaus auch ein Warnsignal an die BOK, bei der Ende Juni die Wahl des neuen Patriarchen ansteht, auf die man wohl Einfluss nehmen wolle.
Die Mehrheit der bulgarischen Bischöfe sei nicht pro-russisch, so Nemeth am Dienstagabend in der ORF-Radiosendung "Religion aktuell". Es gebe aber natürlich auch in der BOK pro-russische Kräfte, auch im Episkopat.
Im Übrigen, so Nemeth, handle Moskau hier nicht anders, als es auch schon im Fall der Orthodoxen Kirche Griechenlands und Zyperns der Fall war, wo auch die Gemeinschaft mit einzelnen Bischöfen abgebrochen wurde, die die OKU anerkannten.
Die Bulgarisch-orthodoxe Kirche wird am 30. Juni bei einem Landeswahlkonzil einen Nachfolger für den am 13. März verstorbenen Patriarchen Neofit I. wählen. Neofit stand seit 2013 an der Spitze der bulgarischen Orthodoxie. Er hatte die Unterstützung des Moskauer Patriarchats für den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine immer wieder kritisiert.
Die Beziehungen zwischen der BOK und der ROK bzw. zwischen Bulgarien und Russland sind zudem auch dadurch belastet, dass Bulgarien im September 2023 drei russisch-orthodoxe Priester des Landes verwies, denen "gezielte Beeinflussung der gesellschaftlichen und politischen Prozesse in der Republik Bulgarien zugunsten russischer geopolitischer Interessen" vorgeworfen wurde.
Vorbereitung der Patriarchenwahl
Am 2. Juni fanden in allen bulgarisch-orthodoxen Diözesen Wahlen statt, bei denen die Delegierten für das aus Bischöfen, Geistlichen und Laien zusammengesetzte Landeswahlkonzil bestimmt wurden. Der Heilige Synod soll zudem am 20. Juni zusammentreten, um unter jenen Metropoliten, die die Kriterien erfüllen, drei Kandidaten für das Amt des Patriarchen auszuwählen.
Infrage kommen seit mindestens fünf Jahren amtierende Metropoliten, die zudem das 50. Lebensjahr vollendet haben. Von den aktuell 13 Metropoliten könnten damit 9 die Nachfolge von Neofit antreten. Einer von ihnen, Metropolit Nikolaj von Plowdiw, hat aber bereits öffentlich bekannt gegeben, dass er nicht für das Patriarchenamt zur Verfügung steht
Für die Patriarchenkür ist im ersten Wahlgang eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Falls kein Kandidat diese erreicht, kommt es zur Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzierten. Das neue Kirchenoberhaupt wird auf Lebenszeit gewählt.